Unser Bildungssystem ist ausgesprochen selektiv. Kinder aus einkommensschwächeren und bildungsfernen Schichten haben es deutlich schwerer, an die Hochschule zu gelangen als Kinder aus Akademikerfamilien. Die Selektion beginnt jedoch bereits in der Grundschule. Wer darf auf weiterführende Schulen, wer nicht? Eine weitere Hürde stellt der Übergang in die Sekundarstufe 2 dar. Leider hängt zu viel von der sozialen Stellung und den Unterstützungsmöglichkeiten des Elternhauses ab. Der Weg an die Hochschule ist dann zusätzlich mit der Frage behaftet, wie ein Studium finanziert werden kann. Besteht ein Anspruch auf BAföG, besteht eine Chance auf Vollförderung oder muss neben dem Studium gejobbt werden? Angesichts steigender Mietpreise stellt sich die Frage noch dringlicher. So vielfältig wie die Gründe für die Chancenungleichheit sind auch die Ansatzpunkte. Das Wissenschaftssystem kann das Problem nicht alleine lösen. Eine bessere individuelle Förderung in Schule, eine Reform der Ausbildungsförderung, die aktive Talentsuche von Hochschulen, die ja zum Teil schon erfolgreich betrieben wird, die Erhöhung der Durchlässigkeit in Verbindung mit dem Angebot von Brückenkursen, all dies sind Möglichkeiten, die wenig zufriedenstellende Situation zu verändern.
Aber nicht nur die soziale Selektion ist ein Problem unseres Wissenschaftssystems. Auch die zwischenzeitlich zwar verbesserte aber immer noch unbefriedigende Beteiligung von Frauen auf der Ebene der Professur ist nach wie vor ein Problem. Untersuchungen zeigen, dass Frauen immer noch die schlechteren Karten haben, eher auf Stipendien abgeschoben werden als Männer, kürzer befristet werden und selbst auf der Ebene der Professur schlechter bezahlt werden. Das Statistische Bundesamt hat erst im Dezember einen Besoldungsunterschied von über 600 Euro monatlich ausgemacht. Auch hierlässt sich vieles tun wie die Schulung für Führungskräfte an Hochschulen, ein weniger auf persönliche Abhängigkeit gestütztes System der Ausbildung des wissenschaftlichen Nachwuchses, geschlechtergerechte Berufungsverfahren, familienfreundlichere Arbeits- und Sitzungszeiten, verbesserte Betreuungsangebote für Kinder, aktive Rekrutierung von Frauen.
Und manchmal sind die Dinge auch komplizierter. Hat Geschlecht Vorrang vor sozialer Herkunft oder ist es umgekehrt? Wie sieht es mit der „Hochschule für alle“ aus? Wie sind die Chancen ausländischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an unseren Hochschulen? Mit anderen Worte, auf dem Gebiet der Diversity liegt ebenfalls noch ein breites Aufgabenfeld für Wissenschaft und Gesellschaft.
Dieser Beitrag entstand für einen Reader mit Texten zur Orientierung im Rahmen des Workshops „WISSENSCHAFT. FREIHEIT. POLITIK.“ des Wissenschaftsforums der Sozialdemokratie am 12. April 2019 in Berlin.