Der stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Hubertus Heil, war eingeladen im Herbst 2014 in einer Sitzung des Wissenschaftsforums Thesen für eine gute Politik für den wissenschaftlichen Nachwuchs zu formulieren. Dabei machte er deutlich, dass die Perspektiven für junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ein wichtiger Indikator für unsere Innovations- und Zukunftsfähigkeit sind. Vor dem Hintergrund der aktuellen Rahmenbedingungen beschrieb er politische Konsequenzen und schlug einen Bund-Länder-Pakt für den wissenschaftlichen Nachwuchs.
„Meine sehr geehrten Damen und Herren,
ich freue mich sehr über die heutige Gelegenheit zum Thema Perspektiven des wissenschaftlichen Nachwuchses zu sprechen. Und das vor so einem fachkundigen Publikum im Wissenschaftsforum der SPD, dass demnächst sein 25. Jubiläum feiern wird. Wie sie vielleicht schon wissen, bin ich seit dieser Legislatur neben Wirtschaft und Energie auch für die Bereiche Bildung, Wissenschaft und Forschung zuständig. Beides Bereiche, in denen wie in keinen anderen Feldern über die Grundlagen für unsere Zukunft und unseren künftigen Wohlstand entschieden wird.
Seit ihrer Gründung steht die SPD in diesem Diskurs, nämlich wie wir technologischen und wirtschaftlichen Fortschritt immer mit dem sozialen und gesellschaftlichen Fortschritt verbinden können. Und die Lage und Zukunft der jungen oder angehenden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler markiert für diese Frage eine Schlüsselstelle.
Es ist daher ein Glücksfall, dass das Wissenschaftsforum sich heute dieses Thema gegeben hat. Und das in mindestens dreierlei Hinsicht:
Deutschland ist auf seine Innovationsfähigkeit angewiesen, mehr als viele andere vergleichbare Industrienationen. Denn heutige Innovationen sind die Basis für unseren Wohlstand von morgen. Und die Kreativität und Leistungsfähigkeit des wissenschaftlichen Personals in Wissenschaft und Forschung ist unser Schlüssel dazu, hier erfolgreich bleiben zu können.
Zweitens lassen die wirtschaftlichen Megatrends zur wissensbasierten Wirtschaft oder zur digitalen Ökonomie die Bedeutung neuen Wissen und Könnens weiter zunehmen. Der Anteil immaterieller Faktoren an der Wertschöpfung nimmt auf allen Ebenen zu, Produkte und Dienstleistungen werden immer wissensintensiver und komplexer. Industrie 4.0 als aktuelle Chiffre steht derzeit für den durch Digitalisierung und Vernetzung der Produktion und Produktionsarbeit angetriebenen Strukturwandel und dem sich entsprechend ändernden Innovation- und Fachkräftebedarf.
Und Drittens bildet der wissenschaftliche Nachwuchs schließlich in diesem Kontext unser innovatives Rückgrat. Seine Neugier, Kreativität und Engagement sind der Boden, auf dem unsere positive Entwicklung gründet. Zum einen gehen aus ihm die Wissenschaftler und Forscherinnen hervor, die unsere Innovationen von morgen vorausdenken, sei es an den Hochschulen, den Forschungseinrichtungen oder in den forschenden Unternehmen. Zum anderen bringt der wissenschaftliche Nachwuchs auch die Hochschullehrer und -lehrerinnen hervor, die unsere nächste Nachwuchsgeneration ausbilden werden.
Unter dem Strich lohnt es sich daher mindestens doppelt, in die Zukunft des wissenschaftlichen Nachwuchses zu investieren. Dessen Perspektiven sind somit ein wichtiger Indikator für unsere Innovations- und Zukunftsfähigkeit insgesamt.
Es gibt somit gute Gründe für die Wahl dieses Themas für das Wissenschaftsforum. Wenn Sie erlauben, werde ich meinen Impuls gern in drei Schritten vortragen, die den folgenden Fragen nachspüren:
1. Erstens möchte ich umreißen, was der wissenschaftliche Nachwuchs eigentlich erwartet und wie er vor diesem Hintergrund seine Perspektiven selbst wahrnimmt.
2. Zweitens werde ich skizzieren, welche Merkmale und Ursachen wir für diese Situation ausmachen können.
3. Und im dritten Schritt schließlich möchte ich in wenigen Thesen die politischen Konsequenzen umreißen und dabei auch Hinweise auf die – für Berufspolitiker wohl wichtigsten – Fragen geben: Wer soll was tun und woher soll das Geld dafür kommen?
Erwartungen und wahrgenommene Perspektiven
Zum ersten Punkt kann man feststellen, dass die Erwartungen der jungen oder angehenden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler weder ein Geheimnis noch überzogen sind. Immer wieder werden als die drei zentralen Bedürfnisse ermittelt:
Erstens der Wunsch nach attraktiven und auch international vergleichbaren Arbeitsbedingungen auf Topniveau.
Zweitens erwarten die jungen Menschen berechenbare und planbare Karrierewege, um ihre Lebensentscheidungen bewusst und hinreichend informiert treffen zu können.
Und Drittens schließlich wünschen sie sich angenehme Arbeitsumfelder, die z.B. auch die Vereinbarkeit von Familie und Karriere fördern.
Wenn wir uns vor diesem Hintergrund Befunde anschauen, wie der Nachwuchs nun tatsächlich heute seine Lage und Perspektiven wahrnimmt, ergibt sich ein gemischtes Bild.
Lassen Sie mich die positive Botschaft voranstellen. Die Arbeitsmöglichkeiten und -bedingungen für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben sich im letzten Jahrzehnt deutlich verbessert. Im internationalen Vergleich konnten wir aufholen, sicher auch mit Hilfe der milliardenschweren drei Bund-Länder-Pakte. Das wird auch vom wissenschaftlichen Nachwuchs gesehen und anerkannt.
Diese Entwicklung wird aber konterkariert durch den dominierenden negativen Befund aus den vielen Befragungen. Mit weitem Abstand wird die fehlende Planbarkeit und Sicherheit der Karrierewege als Hauptproblem genannt. Sehr lange bleiben die jungen Menschen im Unklaren, ob die Wissenschaftskarriere gelingt, hangeln sich zwischenzeitlich von einem befristeten Arbeitsvertrag zum nächsten und warten auf die Erlösung mit der „einen“ Dauerstelle.
Hierbei handelt es sich um einen stabilen Befund, gleich ob sie Männer oder Frauen, junge oder ältere Personen, Promovierende oder Post-Docs fragen. Der häufigste Änderungswunsch ist dementsprechend auch ein unbefristeter Arbeitsvertrag auf einer Dauerstelle. Das zeigt: Berufliche Unsicherheit ist offenbar das vorherrschende Lebensgefühl unseres wissenschaftlichen Nachwuchses.
Daher kann es nicht überraschen, dass rund 70% der an Hochschulen beschäftigten Provierenden am Ende der Hochschule den Rücken kehren und in die Wirtschaft oder in das Ausland wechseln. Der Wechsel selbst ist nicht das Problem, eine gesunde Fluktuation ist eine normale und notwendige Entwicklung. Wenn aber Unsicherheit eine breite „Flucht“ aus der Wissenschaft befeuert, dann sollten wir auch hier genauer hinsehen.
Merkmale und Ursachen für die Situation
Ich möchte jetzt in unserem zweiten Analyseschritt nach den feststellbaren Merkmalen und Ursachen für dieses durch Unsicherheit geprägte Lebensgefühl des wissenschaftlichen Nachwuchses fragen. Wenn wir die aktuellen Studien und Äußerungen etwa des Wissenschaftsrates, der Hochschulrektorenkonferenz oder auch des BMBF mit dem Bundesbericht zum wissenschaftlichen Nachwuchs heranziehen, lassen sich aus meiner Sicht drei Erklärungszusammenhänge abgrenzen, die ich mit den Begriffen mehr Konkurrenz, späte Entscheidungen und Befristungstrend umschreiben möchte. Auffällig ist, dass alle drei Aspekte immer wieder auch auf strukturelle Besonderheiten der Beschäftigungsstruktur im deutschen Wissenschaftssystem verweisen, über die wir reden müssen.
Zum ersten Punkt: Die Konkurrenz um Dauerstellen im deutschen Wissenschaftssystem ist stetig gestiegen und sie wächst weiter. Mehrere Faktoren haben zu dieser Verschärfung beigetragen.
Zum einen hat Deutschland im internationalen Vergleich weniger Professuren, definiert als selbständige Arbeit eröffnende wissenschaftliche Dauerstellen. Während bei uns 8% aller Hochschulstellen diese Merkmale aufweisen, sind es in den USA 34%, in Frankreich 24% und auch in GB noch 18%. Ihre Zahl ist in Deutschland auch nicht mit dem Studierendenansturm der letzten Jahre mitgewachsen. Während wir heute im Vergleich zu 2008 22% mehr Studierende an den Hochschulen zählen, hat die Zahl der Lehrstühle nur um 10% zugenommen.
Zum anderen haben wir auch auf der Nachfrageseite verschärfende Faktoren. So sorgt die im internationalen Vergleich anhaltend hohe Promotionsquote mit rund 27.000 Promotionen für einen konstanten „Nachwuchs für den Nachwuchs“. Aber vor allem das Wachstum bei den wissenschaftlichen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, den Bund und Länder mit den befristeten Mitteln aus ihren drei Wissenschaftspakten sogar befeuert haben, erhöht den Druck. Seit 2000 ist dieses Segment des wissenschaftlichen Nachwuchses um rund 70% auf 167.000 Personen angewachsen, die mindestens in einem Punkt sich alle einig sind: in ihrer Hoffnung auf einer wissenschaftlichen Dauerstelle.
Ein weiterer konkurrenzverschärfender Faktor ist die deutsche Besonderheit, die ich mit „Professur oder nichts“ umschreiben möchte. Auch weil wir den Mittelbau weitestgehend abgebaut haben, fehlen in Deutschland unterhalb der Professur Personalkategorien, die als alternative Ziele für Berufskarrieren dienen könnten. Weder in Forschung und Lehre noch im wachsenden Segment des Hochschul- und Wissenschaftsmanagements sind Dauerstellen im nennenswerten Umfang sichtbar, die auch ein eigenverantwortliches wissenschaftliches oder administratives Arbeiten eröffnen. In Deutschland arbeiten mit rund 80% des hauptberuflichen, wissenschaftlichen Personals so viele Menschen auf unselbständigen, weisungsunterworfenen Positionen wie nirgends sonst. Tenure Track ist in Deutschland weiterhin eine Ausnahme, obwohl es breit praktiziert viele der beschriebenen Unsicherheiten auflösen könnte. Und auch der in der Sache sicher richtige Weg der Juniorprofessur hat sich bisher nicht durchsetzen können. Sie stagnieren bei rund 1.200 Stellen. Das ist auch deshalb ernüchternd, weil sie erfreulicherweise zu knapp 40% mit Frauen besetzt sind und hier erhebliche gleichstellungspolitisch Potenziale schlummern. Im Ergebnis müssen wir festhalten, dass die Personalstruktur an unseren Hochschulen weder flexibel genug noch international anschlussfähig ist.
Zum zweiten Punkt: Viel zu lange halten wir die jungen Menschen in Unklarheit, ob ihre Wissenschaftskarriere erfolgreich sein wird. Mit einem durchschnittlichen Berufungsalter von rund 42 Jahren – und nur der Ruf auf einen Lehrstuhl kann als Erfolgsmaßstab dienen, weil alternative Dauerstellen eben wie dargestellt fehlen – verlängern wir die Unsicherheit sehr weit in die Lebensbiografie hinein. Dadurch wird die Qualifizierungsphase, also Zeiten des wissenschaftlichen Arbeitens auf weisungsunterworfenen und befristeten Projektstellen, gerade auch im internationalen Vergleich nochmal ausgedehnt. In dieser Phase fehlen wie beschrieben zudem oft vermittelnde Strukturen, wie etwa ein Tenure Track mit oder ohne Juniorprofessuren. Dies würde erlauben, an befristete wissenschaftliche Stellen die konkrete, oft mit Ziel- oder Leistungsvereinbarungen unterlegte Aussicht auf Dauerstellen zu knüpfen. Auch fehlen meist Personalentwicklungskonzepte, die mit Durchgriff auf wissenschaftliche oder administrative Dauerstellen verbindliche individuelle Karriereplanungen erlauben würden. Entsprechend hält auch der Wissenschaftsrat in seiner Expertise den Ausbau von so genannten Tenure-Track-Professuren für erforderlich. Er hält auch die Potenziale für nicht ausgeschöpft, verbindlichere Karrierewege durch mehr Kooperation von Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen zu ermöglichen.
Der Dritte Punkt ist der in der Öffentlichkeit am meisten diskutierte, namentlich der „Befristungstrend“ in der Wissenschaft. Der Anteil befristet beschäftigten wissenschaftlichen Personals steigt in der Tat, allein seit 1992 von 65% auf 83%, bei Drittmittelbefristeten von 19% auf 39%. Jeder siebte befristet Beschäftigte ist über 40 Jahre alt. Eine Relation belegt eindrucksvoll die These, dass der Aufwuchs beim wissenschaftlichen Personal über befristete Stellen erfolgte: Kamen 2005 auf jede unbefristete nur vier befristete Stellen, so lag diese Quote 2010 bereits bei 1:8.
Auch im internationalen Vergleich wird die deutsche Sonderstruktur im Wissenschaftspersonal an Universitäten deutlich. Während in Deutschland der Anteil des befristet beschäftigten hauptberuflichen wissenschaftlichen Personals bei hohen 68% liegt, ist dieser in Frankreich nur bei 27%, in Großbritannien bei 28% und in den USA sogar lediglich bei 14%. Wenn die Evaluierung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes zudem belegt, das in Deutschland über die Hälfte der Befristungen Laufzeiten von unter einem Jahr aufweisen, liegt der Vorwurf des Missbrauchs auf der Hand. Um es klar zu sagen: diesem Missbrauch werden wir gesetzgeberisch begegnen und das Wissenschaftszeitvertragsgesetz novellieren. Das hat sich diese Koalition in ihrem Koalitionsvertrag vorgenommen.
Eine Ursache für diesen Befristungstrend ist in der chronischen Unterfinanzierung der Hochschulen schnell gefunden. Das ist auch plausibel, denn die Grundfinanzierung hält weder mit dem Studierendenwachstum noch mit der Aufgabenausweitung Schritt. Drittmittel gewinnen für die Hochschulen als letzte „Gestaltungsmittel“ an Bedeutung, obwohl sie flüchtig sind. Und auch der Bund verschärft dies mit seinen eben in Form befristeter Projektmittel zur Verfügung gestellten Leistungen. Auch vor dem Hintergrund der Schuldenbremse in den Ländern ist der politische Handlungsbedarf an dieser Stelle offenkundig.
Aber es gibt neben der Finanzlage weitere Ursachen, die nicht unterschätzt werden dürfen. So nutzen die Hochschulen die Potenziale von flexiblen Personalentwicklungskonzepten nicht hinreichend aus. Eine aktive und kreative Personalpolitik könnte auch vor dem Hintergrund fluider Mittel verlässlichere Karriereperspektiven erlauben, als derzeit realisiert werden. Und auch die ausgeübte „Beschäftigungskultur“ der Professoren und Professorinnen sollte reflektiert werden. Denn es ist nicht immer legitim, was legal ist. Die Möglichkeiten etwa des Sonderbefristungsrechts ohne Not rücksichtslos voll auszuschöpfen, also Kettenbefristungen zu forcieren oder Laufzeiten zu minimieren ohne soziale oder auch wissenschaftliche Opportunitäten zu berücksichtigen, festigt Abhängigkeitsverhältnisse und erzeugt am Ende eben die Missbrauchsbefunde, die den Gesetzgeber auf den Plan rufen.
Die Folgen des Befristungstrends sind empirisch valide und sogar mit Händen zu greifen: junge Menschen halten sich in dieser Situation zurück, langfristig bindende Entscheidungen zu treffen. Entsprechend wirkt es sich hemmend auf die Lebens- und auch Familienplanung aus und begründet auch teilweise sicher die strukturelle Benachteiligung von Frauen auf der wissenschaftlichen Karriereleiter.
Damit trotz dieser drei Analysepunkte keine Missverständnisse aufkommen, möchte ich an dieser Stelle klarstellen: Konkurrenz und Wettbewerb sind für Wissenschaft und Forschung konstitutiv, entsprechend ein Scheitern als Möglichkeit immer Teil des Systems. Daher sind Personalfluktuation und Befristungen etwa in frühen Qualifizierungsphasen auch unvermeidlich. Wenn wir das heute dennoch so stark thematisieren müssen, dann mit der Grundthese, dass ihr Ausmaß in einigen Bereichen bereits für das Wissenschaftssystem insgesamt – gewollt oder ungewollt – dysfunktional ist oder zumindest dysfunktional zu werden droht. Das ist der Grund, die Balance zwischen Konkurrenz und Sicherheit, Wettbewerb und Planbarkeit, Flexibilität und Verlässlichkeit in einer wissenschaftlichen Laufbahn zu prüfen.
Vier Thesen zu politischen Konsequenzen
Wenn wir die genannten Analysepunkte politisch bewerten wollen, müssen wir nach Folgendem fragen: Gibt es drängende Handlungsbedarfe und wenn ja wo liegen diese? Welche sachgerechten und realistischen Lösungsansätze stehen zu Verfügung und welche davon sind überhaupt politisch durchsetzbar? Die Frage nach politischen Konsequenzen hat eben operativ betrachtet zu beantworten, was zu tun ist, wer es tun soll und eben auch, wie es finanziert werden soll.
Meines Erachtens sind aus dem bisher gesagten politisch – mindestens – vier Konsequenzen ableitbar, die ich gern entsprechend in vier Thesen kleiden möchte:
These 1: Ohne eine Personaloffensive ist die Situation des wissenschaftlichen Nachwuchses an den Hochschulen nicht nachhaltig lösbar. Vor dem Hintergrund des bisher Gesagten sollte diese Offensive mehrfach wirken, drei Ziele will ich nennen:
Das erste liegt auf der Hand: es bedarf schlicht mehr wissenschaftliche Dauerstellen in der Wissenschaft, angefangen bei Lehrstühlen über dem Mittelbau bis hin zu administrativen Managementstellen. Wir müssen hier zu international vergleichbaren Dauerstellenquoten aufschließen, auch um in der Konkurrenz um die besten Köpfe bestehen zu können, die Betreuungsrelation zu verbessern und den Flaschenhals zu verringern.
Aber eine rein quantitative Lösung wird nicht reichen. Für verlässliche und flexible Karrierewege braucht die Personaloffensive zweitens auch eine qualitative Komponente. Ohne eine Reform der Personalstrukturen an den Hochschulen wird es nicht gehen. Hier wären eben attraktive Alternativen zur Professur zu vereinbaren, also andere wissenschaftliche oder administrative sowie weisungsunabhängige und unbefristete Personalkategorien. Dazu gehörte ebenfalls der Ausbau von Tenure-Track-Optionen, um zumindest den Weg zur unbefristeten Dauerstelle früher planbarer zu machen.
Eine dritte Komponente der Personaloffensive stellt die Stärkung von hochschulischen Personalentwicklungskonzepten dar. Es stecken noch erhebliche Personal- und Planungspotenziale in systematischen, personenorientierten Stellenentwicklungsplänen, die mit gezielten Qualifizierungsangeboten sowie mehr und besserer Karriereberatung verbunden sind. Die Hochschulrektorenkonferenz unterstützt das entsprechend, an vielen Hochschulen werden solche schon verfolgt. Hier sollte man „best practice“-Beispiele identifizieren und Anreize setzen, um diese zu verbreitern.
These 2: Das Wissenschaftszeitvertragsgesetz verhindert derzeit den Missbrauch von Befristungen nicht in ausreichendem Maße. Eine Novelle des Befristungsrechts ist daher unseres Erachtens erforderlich und der Koalitionsvertrag sieht dies entsprechend auch vor. Hier zeichnet sich mit der Union auch ein guter Kompromiss ab. Wir denken etwa darüber nach, Mindestvertragslaufzeiten vorzusehen, von denen nur begründet abgewichen werden kann. Eine Option wäre auch, Laufzeiten wieder stärker an bestehende Finanzierungszusage zu binden. Eine Novelle muss aber mit Augenmaß erfolgen, weil natürlich Befristungen und auch Konkurrenz in vielen Phasen der wissenschaftlichen Karriere geradezu konstitutiv sind. Den Missbrauch wollen wir einschränken, nicht die für Wissenschaft erforderliche arbeitsrechtliche Flexibilität.
These 3: Die Lage des wissenschaftlichen Nachwuchses kann nur dann nachhaltig verbessert werden, wenn die Ausfinanzierung der Hochschulen deutlich verbessert wird. Das richtet sich zuständigkeitsgemäß in erster Linie an die Länder, die um in etwa 10mal mehr Mittel für Hochschulen aufwenden, als der Bund.
Der Bund hat dennoch bereits wichtige Schritte getan, um die Länder an dieser Stelle etwas zu entlasten. Die – wohlgemerkt dauerhafte – 100%igen Übernahme der Kosten sowohl beim BAföG wie bei den künftigen Aufwüchsen des Paktes für Forschung und Innovation durch den Bund erweitert bereits die Spielräume der Länder. Die bevorstehende Verlängerung des Hochschulpaktes wird einen weiteren wichtigen Beitrag leisten. Hoffnungen aber, der Bund könne jetzt mit dem neuen Art. 91b völlig alleine das Unterfinanzierungsproblem der Hochschulen lösen, werden mit Sicherheit enttäuscht werden – ich erinnere nochmals an die mindestens um den Faktor 10 höheren Aufwendungen der Länder. Es wäre bereits ein Erfolg – und auf diesen arbeiten wir auch hin -, die gegenwärtige Höhe der Bundesbeiträge für Hochschulen zu halten und auch über 2020 hinaus zu verstetigen. Eine nachhaltige Lösung aber wird ohne die Neuordnung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen nicht gelingen. Es wäre aber auch naiv nicht zu sehen, dass auf diesem Verhandlungstisch für die Wissenschaft auch Risiken entstehen. Sie könnte etwa Teil eines sachfremden Tauschgeschäfts werden, über das wir alle hier im Saale am Ende vielleicht auch nicht glücklich sind.
These 4: Das Beste nun zum Schluss, allerdings weniger in Form einer These als eines Denkanstoßes: Die SPD-Bundestagsfraktion hält eine gemeinsame Bund-Länder-Initiative für eine Personaloffensive für den wissenschaftlichen Nachwuchses für erforderlich – und vor allem auch für machbar. Für den Bund stehen für den Start eines solchen „4. Paktes“ ausreichend Mittel aus dem 3 Mrd.-Euro-Paket bereit. Eine solche Offensive – wir wollen vom „4. Pakt“ sprechen – wäre auch anrechenbar auf das Lissabon-Ziel, 3% des BIP für Wissenschaft, Forschung und Entwicklung aufzuwenden. Vor allem aber können wir mit dem hoffentlich bald zur Verfügung stehenden Art. 91b GG eine Personaloffensive dauerhaft auf eine sichere Basis stellen. Wir als SPD sind dazu bereit. Es gibt auch hervorragende Vorarbeiten, etwa des Wissenschaftsrates oder der Hochschulrektorenkonferenz, auf denen man aufbauen kann.
Kurz skizziert könnte die Umsetzung eines 4. Paktes für den wissenschaftlichen Nachwuchs bedeuten, eine mindestens 8- oder 10-jährige Förderung auf Basis des Art. 91b neuer Fassung vorzusehen. Damit sollte das Ziel verfolgt werden, sowohl wissenschaftliche oder wissenschaftsnahe Dauerstellen auszuweiten, als auch Karrierewege verlässlicher und planbarer zu machen. Dafür bieten sich die in der ersten These genannten Bausteine an:
Wir brauchen also Bausteine zur Ausweitung der Professuren. Um die Nachhaltigkeit sicherzustellen, könnte der Ausbau teilweise über vorgezogene Doppelberufungen erfolgen, bei denen die Geförderten nach Ablauf auf den ordentlichen Lehrstuhl wechseln. Diese Lösung ist auch angelehnt an den Vorschlag des Wissenschaftsrates.
Wir denken zweitens, dass die Potenziale der Juniorprofessuren als Erfahrungs- und Lernphase sowie für verlässlichere Karrieren bei weitem nicht ausgeschöpft sind. Die möglichen positiven gleichstellungspolitischen Effekte sollten wir nutzen. Mit dem 4. Pakt sollte ein zweiter Schub für Juniorprofessuren erfolgen, um die bestehende Stagnation zu durchbrechen.
Und wir sollten im Rahmen der Initiative auch Personalentwicklungskonzepte der Hochschulen fördern, also anreizen und prämieren. Aber wir müssen hier einen Schritt weiter gehen, wenn wir die verkrusteten Personalstrukturen aufbrechen wollen. Wenn die Konzepte stimmen, könnten wir den Hochschulen frei verwendbare Personalmittel zur Verfügung stellen, mit denen sie etwa neue, mit Dauerstellen unterlegte Personaltypen unterhalb einer Professur ausprobieren könnten. Der Wissenschaftsrat deutet in die gleiche Richtung. Von solchen experimentellen Personalmitteln verspreche ich mir langfristig die größte Wirkung in Richtung veränderter, international anschlussfähiger Strukturen des deutschen Wissenschaftspersonals.
Natürlich bleiben heute viele Detailfragen zu solch einem 4. Pakt offen, etwa welche Volumina die einzelnen Bausteine finanziell und in Köpfen erreichen sollen oder auch ob und wie die Lastenteilung zwischen Bund und Ländern vereinbart werden kann. Aber ich bin überzeugt, dass sich dieser Weg lohnt. Wir sollten die Kraft aufbringen, um die Lage des wissenschaftlichen Nachwuchses und des Mittelbaus entscheidend zu verbessern.
Und für die Wissenschaftspolitik auf Bundesebene ist diese Frage derzeit natürlich spannend, weil Wege und Mittel zur Verfügung stünden. Es gilt nun, in Diskussionen mit allen Akteuren den politischen Willen zu entwickeln, einer gemeinsam identifizierten und bewerteten Herausforderung mit einer gemeinsamen Antwort zu begegnen. Daran wollen wir mitarbeiten.
Ich freue mich auf die erste Diskussion und Danke ihnen für ihre Aufmerksamkeit.“
Hubertus Heil
stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion