Wissenschaftspolitik mit Weitblick!

Sozialdemokratische Wissenschaftspolitik war und ist stets geleitet von der Erkenntnis, dass die Verantwortung und die Freiheit der Wissenschaft untrennbar miteinander verbunden sind. Die Maxime Dietrich Bonhoeffers „Verantwortung setzt sachlich – nicht zeitlich – Freiheit voraus, wie Freiheit nur in der Verantwortung bestehen kann.“ muss auch weiterhin ethische Richtschnur unserer Wissenschafts- und Forschungspolitik sein. Doch worin besteht heute und in naher Zukunft die Verantwortung, der sich die Wissenschaft stellen muss?

Forschung für ein besseres Leben

Ich meine, die Verantwortung der Wissenschaft besteht primär darin, dass sie adäquate Antworten auf die großen Herausforderungen unserer Zeit geben muss. Dass Forschung sich zum Ziel setzt, relevante Beiträge zu liefern für ein besseres Leben aller Menschen in unserer EINEN Welt. Gute Orientierungspunkte hierfür liefern die Millenniumsziele der Vereinten Nationen oder auch die im EU-Programm Horizon 2020 beschriebenen großen gesellschaftlichen Herausforderungen Europas und der Welt.

Konkret bedeutet dies beispielsweise, dass sich Wissenschaft der Bekämpfung von extremer Armut und Hunger, dem Zugang zu hygienisch einwandfreiem Trinkwasser für alle Menschen, der Senkung der Kindersterblichkeit und der Sterblichkeit von Müttern, der Bekämpfung von AIDS, Malaria und anderen schweren Krankheiten widmet.  Dass Wissenschaft dazu beiträgt, das Geschlechtergefälle auf allen Bildungsebenen zu beseitigen, das wechselseitige Verständnis und das friedliche Zusammenleben der verschiedenen Kulturen und Religionen zu befördern und den Verlust von Biodiversität und von Umweltressourcen zu verringern.

Strategie: Diversität, Interdisziplinarität, Internationalität, Anwendungsorientierung

Die Antworten auf diese Herausforderungen bedürfen vielfältiger wissenschaftlicher Kompetenzen und unterschiedlicher Herangehensweisen und somit eines vielfältigen, funktional profilierten und auch institutionell differenzierten Wissenschaftssystems. Wir brauchen dafür forschungsstarke Hochschulen und ein positives Verhältnis der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sowohl zu interdisziplinärer Zusammenarbeit, als auch zur Anwendungsorientierung von Forschung und zum Transfer der Erkenntnisse. Und es muss sichergestellt sein, dass aktuelle Forschungsergebnisse auch unmittelbar in die Lehre einfließen. Dies sollten dementsprechend wesentliche strategische Ziele unserer sozialdemokratischen Wissenschaftspolitik sein, wobei ich betonen möchte, dass ich Transfer dabei nicht als reinen Technologietransfer verstehe, sondern in einem breiteren Sinne als dialogische Vermittlung von Erkenntnissen aus allen Wissenschaftsbereichen in die Gesellschaft. Und wir brauchen eine Stärkung der Internationalisierung und der globalen Perspektive von Wissenschaft. Die Wissenschaften stehen seit jeher für einen grenzüberschreitenden Dialog und eine globale Kooperation. Gerade in Zeiten, in denen in Europa neue Grenzzäune errichtet und in einigen Ländern diskutiert wird, ob ihre Zukunft in einer Renaissance des Nationalen bestehen könnte, müssen wir uns auf diesen Ansatz besinnen!  Die mit Flucht und Migration verbundenen Herausforderungen sind nur international zu lösen und die Bekämpfung von ihren Ursachen liegt in der gemeinsamen Verantwortung der Länder des globalen Südens und der hoch entwickelten Industrienationen.

Kooperationen auf Augenhöhe ermöglichen!

Aus dieser strategischen Linie ergeben sich verschiedene konkrete Herausforderungen für unser alltägliches politisches Handeln. Zum einen sind wir gefordert, eine partnerschaftliche Kooperation der einzelnen wissenschaftlichen Einrichtungen auf Augenhöhe zu verstärken bzw. überhaupt erst zu ermöglichen und dabei insbesondere unterschiedliche Kompetenzen stärker zusammenführen. Hierfür müssen wir geeignete Anreize setzen und vernünftige Rahmenbedingungen schaffen. Beispielhaft hierfür sind die beiden neuen Bund-Länder-Vereinbarungen zur „Exzellenzstrategie“ und zur „Innovativen Hochschule“, in denen die Formierung themenorientierter Verbünde, Netzwerke und Kooperationen (z.B. Forschungscluster) eine wesentliche Rolle spielt. Zukunftsweisend wäre dementsprechend auch die Schaffung zweckorientierter Verbünde, Netzwerke und Kooperationen z.B. in Form von Kooperationsplattformen für gemeinsame Promotionen von Fachhochschulen und Universitäten  oder gemeinsame Graduiertenzentren von Universitäten und außeruniversitären Forschungseinrichtungen. Damit dies gelingen kann, ist ein Ausbau der angewandten Forschung an Fachhochschulen eine notwendige Voraussetzung.

Die Hochschulen stärken und Durchlässigkeit fördern!

Zum anderen sind wir gefordert, unsere Hochschulen so zu stärken, dass sie weiterhin den Kern des Wissenschaftssystems bilden. Dies wird nur möglich sein, wenn der Bund zukünftig einen signifikanten Anteil an der Grundfinanzierung der Hochschulen trägt. Dies wäre auch die Voraussetzung dafür, die Drittmitteleinnahmen der Hochschulen wieder in eine gesunde Relation zu ihrer Grundfinanzierung zu bringen, also eine Größenordnung von durchschnittlich nicht mehr als 20% (Ist-Stand: ca. 30%, Stand 1995: ca. 15%).

In der Mehrzahl der Länder tragen Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten die Verantwortung für die Gestaltung der jeweiligen Hochschullandschaft. Diese Chance sollten wir nutzen, um das Hochschulsystem insgesamt internationaler, durchlässiger und sozial gerechter zu machen. Mein Ziel ist, dass sich unsere Hochschulen zukünftig noch stärker dadurch auszeichnen, dass

  • es einfache Zugangsmöglichkeiten gibt für beruflich Qualifizierte oder Studierende ohne Abitur und alle Hochschulen zur Heterogenität der Studierenden passende Studienangebote vorhalten,
  • durch fachlich weniger spezialisierte Studiengänge die Voraussetzungen gegeben sind für eine hohe Mobilität innerhalb der gestuften Studienstruktur,
  • eine hohe Durchlässigkeit besteht zwischen Fachhochschulen und Universitäten,
  • die duale Berufsausbildung und der tertiäre Sektor systematisch verschränkt sind und duale Studiengänge zum Regelangebot an allen Hochschulen gehören,
  • die wissenschaftliche Weiterbildung eine breite Rolle einnimmt,
  • ein hoher Anteil der Studierenden und der Lehrenden aus dem Ausland kommen und es für Studierende und Lehrende aus Deutschland selbstverständlich ist, einen Studienabschnitt bzw. eine kurze Phase der wissenschaftlichen Laufbahn im Ausland zu verbringen,
  • die Prinzipien der „guten Arbeit“, die Chancengleichheit von Männern und Frauen und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf durchgesetzt und eine Selbstverständlichkeit sind,
  • Frauen auf allen Karrierestufen gut vertreten sind,
  • dauerhafte Tätigkeiten auch von dauerhaft Beschäftigten geleistet werden,
  • auf verschiedenen Positionen endende, verlässliche und individuell planbare Karrierewege mit transparenten Ein- und Aufstiegsszenarien existieren und der Tenure-Track auf allen diesen Karrierewegen etabliert ist,
  • und unsere Hochschulen über eine hochwertige Bausubstanz und eine moderne technische Infrastruktur verfügen, damit wir sie auch zu Recht als „ unsere Kathedralen“ bezeichnen können.

In den nächsten Jahren wird es um zentrale Weichenstellungen für die Wissenschaft in Deutschland gehen. Dort, wo wir die Weichen stellen, muss erkennbar sein: Die Menschen stehen im Mittelpunkt sozialdemokratischer Wissenschaftspolitik.