Rechtspopulisten in Deutschland und Europa haben die Wissenschaft und die Universitäten als politische Arena für sich entdeckt. Die Einflussnahme auf die Wissenschaft von rechts ist drängendes Problem der gegenwärtigen Wissenschaftspolitik. Eine sozialdemokratische Wissenschaftspolitik muss die daraus entstehenden Herausforderungen aktiv annehmen – neben anderen drängenden, wissenschaftspolitischen Themen der Sozialdemokratie wie z.B. Chancengleichheit und die Bekämpfung von Bildungsungerechtigkeit im Studium und bei akademischen Karrieren, Arbeitsbedingungen an den Universitäten und Gestaltung einer digitalisierten Forschung und Lehre (siehe die Beiträge von Peter André Alt, von Yasmin Djabarian, Oliver Janoschka und Florian Rampelt und von Elke Hanack).
Die Wissenschaftspolitik von Sozialdemokrat*innen muss geeignete Antworten auf Phänomene wie die folgenden finden:
- Rechte Parteien und ihnen nahestehenden politische und wirtschaftliche Organisationen betreiben aktiv „strategischen Wissenschaftsskeptizismus“. Das derzeit prominenteste und folgenreichste Beispiel für dieses Phänomen lautet: rechtspopulistische Organisationen in den USA und zunehmend auch in Europa, die zum Teil von der Erdöl- und Kohleindustrie finanziert werden, ziehen empirisch gut bestätigte Forschungsergebnisse der Klimawissenschaften gezielt öffentlich in Zweifel. Zum Beispiel wird angezweifelt, dass es überhaupt eine menschengemachte Klimaerwärmung gibt. In diesem Fall zielt der strategische Zweifel konkret darauf ab, Klimaschutzmaßnahmen zu verhindern, deren Umsetzung den Interessen der Industrie und der politischen Agenda von Rechtspopulisten zuwiderlaufen würde.
- Rechte Akteure versuchen gezielt, in den akademischen Bereich bzw. die Universitäten vorzudringen. Sie versuchen zum einen, den Intellektuellen der neuen Rechten in einem akademischen und universitären Rahmen Gehör zu verschaffen – als Gegengewicht zu einer vermeintlichen „links-liberalen Meinungsdiktatur“ an deutschen Universitäten. Zum anderen versuchen sie, Wissenschaftler*innen zu ‚aktivieren‘, die mit der Ideologie der neuen Rechten sympathisieren. Außerdem besteht zunehmend die Gefahr, dass rechte Stiftungen und Think Tanks, die Forschung in großem Umfang fördern und langfristig die Forschungsausrichtung ganzer Bereiche bestimmen. Meines Erachtens sind dies vor allem (aber nicht ausschließlich) ein Problem der Geistes- und Sozialwissenschaften.
- In Ungarn und Polen schränken rechte Regierungen die akademischen Freiheiten einer unabhängigen Forschung und Lehre auf extreme Weise ein. Beispielsweise wurde in Ungarn nicht nur die Autonomie der Universitäten unterminiert (hier insbesondere die Unabhängigkeit der Universitätspräsidenten vom ungarischen Wissenschaftsministerium), es wird ebenfalls bekanntermaßen eine Universität aus dem Land vertrieben (die Central European University zieht gerade nach Wien um) und das Fach Gender Studies wurde an staatlichen Universitäten in Ungarn verboten.
Eine sozialdemokratische Wissenschaftspolitik sollte unter anderem über folgende Maßnahmen gegen diese Phänomene nachdenken.
Sozialdemokrat*innen müssen eine Strategie entwickeln, wie man mit Wissenschaftsskeptizismus umgeht, wenn Rechtspopulisten wissenschaftsskeptische Rhetorik in politische Debatten einstreuen. Die politisch motivierte Skepsis fußt meist auf leicht zu entlarvenden Tricks und sie nutzt häufig das Unwissen vieler Wähler*innen darüber, wie Wissenschaft funktioniert, aus. Eine Entlarvung solcher Rhetorik sollte eine sozialdemokratische Wissenschaftspolitik in enger Zusammenarbeit mit renommierten Wissenschaftsinstitutionen vorantreiben. Oder wie es Gesine Schwan in ihrem Beitrag ausdrückt: „Gesellschaft erfährt genauer, was Wissenschaft treibt und Wissenschaft versteht genauer, was Gesellschaft treibt“ (siehe auch den Beitrag von Marcel Knöchelmann).
Manche der genannten Probleme betreffen in besonderem Maße die Geistes- und Sozialwissenschaften. Die Sozialdemokratie sollte Wissenschaftsinstitutionen und Fachgesellschaften darin bestärken, dass es keine Preisgabe von wissenschaftlicher Objektivität ist, sich gegen Rechte im akademisch-universitären Raum zu positionieren. Vielmehr handelt es sich um sinnvolle, hochschulpolitische Maßnahme, um sich gegen eine die Forschung und Lehre gefährdende Politisierung der Wissenschaften durch rechte Akteure zur Wehr zu setzen. Eine Politisierung dieser Art kann keine Wissenschaftler*in begrüßen. Um dem Problem der Forschungsförderung von rechts zumindest teilweise entgegenzuwirken, muss eine Forschungsförderung aus der öffentlichen Hand weiter erhöht werden – auf nationaler und europäischer Ebene. Europäische Institutionen könnten und sollten daher die Förderung von Geistes- und Sozialwissenschaften noch stärker vorantreiben. Sozialdemokrat*innen in Deutschland und Europa sollten sich darin bestärkt fühlen, diese Disziplinen stärker zu fördern und sogar neue Förderschwerpunkte zu schaffen. Zum Beispiel könnte ein solcher Förderschwerpunkt die Frage betreffen, was die Erfolgsbedingungen und Erhaltungsmechanismen liberaler Demokratie sind.
Sicher nicht zuletzt täten Sozialdemokrat*innen gut daran, einen Vorschlag zu erarbeiten, wie man Einschränkungen der akademischen Freiheiten auf der europäischen Ebene effektiv entgegenwirken kann, um Situationen wie gegenwärtig in Ungarn künftig zu verhindern. Wie zum Beispiel Katarina Barley in ihrem Beitrag anregt: „Beim Monitoring der Rechtsstaatlichkeit für die EU-Mitgliedsstaaten muss auch die Wissenschaftsfreiheit berücksichtigt werden.“ (siehe Beitrag von Katarina Barley).
DR. PHIL. HABIL. ALEXANDER REUTLINGER
arbeitet als Akademischer Rat an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Er forscht und lehrt im Bereich Wissenschaftsphilosophie.
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Dieser Text ist ein Debattenbeitrag und gibt die Meinung des Autors wider. Sie entspricht nicht unbedingt der Position des Wissenschaftsforums der Sozialdemokratie oder der SPD insgesamt.