FÜNF THESEN ZUR ZUKUNFTSFÄHIGEN GESTALTUNG VON HOCHSCHULBILDUNG IM DIGITALEN ZEITALTER
1. Öffnung, Kooperation und Kollaboration
Hochschul- bzw. länderübergreifende Kollaboration wird durch die Digitalisierung noch stärker notwendig als bisher. Hochschulen müssen sich nicht nur für neue Zielgruppen öffnen, sondern auch für die Zusammenarbeit mit anderen hochschulischen und außerhochschulischen Einrichtungen.
Digitale (Lern-)Plattformen und offene Bildungsressourcen
Hochschulen müssen dazu befähigt werden, stärker miteinander zu kollaborieren. Digitale Plattformen und Medien bieten die hierfür notwendige Grundlage.
Aufgrund der begrenzten zeitlichen und personellen Mittel von Hochschulen versprechen Vernetzung und Arbeitsteilung im Rahmen von hochschul- und länderübergreifenden Kooperationen hohe Wirksamkeit. Es ist notwendig, dass Synergieeffekte systematischer genutzt, technische Infrastrukturen gemeinsam weiterentwickelt und spezifische Kompetenzen länderübergreifend zur Verfügung stehen.
Die Bereitstellung von Kursen und Modulen für Interessierte jenseits der Hochschulgrenzen wird von einigen Bundesländern bzw. Hochschulen prototypisch gefördert. Erste Modellprojekte zeigen die Potentiale auf (vgl. Hamburg Open Online University, oncampus; OpenVHB), aber insgesamt werden diese Angebote vor allem komplementär entwickelt, eine Verzahnung mit der Präsenzlehre vor Ort findet kaum statt.
Vor diesem Hintergrund könnte eine weitergehende Verknüpfung der bestehenden Infrastrukturen sowie der Aufbau einer bundesweiten Lernplattform zahlreichen Hochschulen und Ländern, die bislang über keine eigenen Angebote verfügen, neue Nutzungsmöglichkeiten und Sichtbarkeit bieten. Insbesondere mit Blick auf technologienahe Themen, die sich ständig weiterentwickeln und die einen erkennbar großen (Fachkräfte-)Bedarf aufweisen (z. B. Künstliche Intelligenz und Data Literacy), könnten digitale Lehr-Lernformate einen großen Mehrwert bieten.
Vernetzung von Landesinitiativen
Es gibt in vielen Bundesländern inzwischen Landesinitiativen zur Digitalisierung an Hochschulen. Diese bündeln ihre Kompetenzen und Angebote bisher jedoch unzureichend, Synergieeffekte gehen verloren. Daher sollten auch dort Kompetenzen und Ressourcen geteilt werden, um gemeinsam von Arbeitsteilung und Kollaborationen zu profitieren. Zudem stärkt etwa die gemeinsame Sicherung eines Zugangs zu Service- und Supportstrukturen infrastrukturell schwächer aufgestellte Hochschulen bundesweit.
Europäische Zusammenarbeit und virtueller Austausch
Das deutsche Hochschulsystem kann nur mit europäischer Perspektive zukunftsfähig aufgestellt sein. Die Initiativen zu europäischen Hochschulen mit einem starken Fokus auf digitalen Austausch sind auch aus Deutschland explizit zu unterstützen und zu fördern. Gleichzeitig sollten Hochschulen in Deutschland Fördermittel für neue, virtuelle Wege des internationalen Austauschs von Studierenden und Mitarbeitenden erhalten.
2. Future Skills
Zur Vermittlung von Zukunftskompetenzen und einer (fachbezogenen) Auseinander-setzung mit datengetriebenen Technologien wird eine entsprechende Verankerung in den Curricula benötigt.
Curriculum 4.0 – Studiengänge & Kompetenzen neu denken
Im Zeichen des digitalen Wandels entscheiden neue Kompetenzen (z.B. Data Literacy, Kollaborationsfähigkeit, interkulturelle Kompetenzen) über die eigene Employability sowie das Partizipationslevel in einer digitalen Gesellschaft. Gleichzeitig können diese Future Skills durch digitale Medien orts- und zeitflexibel sowie praxisorientiert ausgebaut werden.
Wie sich exemplarisch am Fall von Künstlicher Intelligenz zeigt, ist ein weiter gehender Bewusstseinswandel von Nöten: Algorithmen werden unseren Alltag künftig noch viel stärker prägen, als wir uns das heute vorstellen können. Daher muss KI als Querschnittsthema und zentrale Zukunftstechnologie verstanden und priorisiert werden und eine entsprechende finanzielle Förderung sowie Verankerung in den Curricula erhalten.
Nur so kann Deutschland sich im internationalen Wettbewerb positionieren und das gesamtgesellschaftliche Potential von KI ausschöpfen. Gleichzeitig müssen gesellschaftliche Partizipation, Mündigkeit und demokratische Teilhabe künftiger Generationen sichergestellt werden.
KI-Kompetenzen sind nicht nur IT-Kompetenzen, sondern auch durch ethische Fragen geprägt. Es muss eine gesamtgesellschaftliche Debatte über die Auswirkungen von Algorithmen auf die Gesellschaft, Plattformlösungen, die Förderung und Öffnung sowie Anerkennung fächerübergreifender Kurse von Hochschulen und Verbünden sowie die Zusammenarbeit mit privatwirtschaftlichen Anbietern vorangetrieben werden.
3. Anerkennung und Zertifizierung von Kompetenzen
Formal, non-formal und informell erworbene Kompetenzen sollten anerkannt und neue Zertifizierungsmodelle Bestandteil der hochschulischen Arbeit werden.
Von Studiengängen zu Zertifikaten
Neue Anforderungen an Kompetenzprofile und neue Lernumgebungen setzen eine Überprüfung bzw. Erweiterung bestehender Zertifizierungsprozesse und Zertifikate voraus. Hochschulen müssen daher Standards schaffen, um Angebote privater Anbieter (z.B. Udacity) anzurechnen. Die Qualitätssicherung als zentrale Kompetenz von Hochschulen sollte dabei eine wichtige Rolle spielen.
Anerkennung informell erworbener (innovativer) Kompetenzen von Lehrenden
Lehrende erhalten zu oft keine Anerkennung für gute, innovative Lehre. Lehre sollte nicht nur gegenüber der Forschung weiter gestärkt werden, sondern auch eigene Anerkennungsmöglichkeiten erhalten. Peer-Instrumente bilden eine Möglichkeit, qualitätsgesicherte Anerkennung und einen Austausch auf Augenhöhe voranzutreiben.
Informelle Kompetenznachweise (z.B. Badges) werden im Vergleich zum angelsächsischen Raum deutschlandweit bislang nur vereinzelt eingesetzt, stellen allerdings ein großes Potential dar, das eigene Profil und Stärken transparent sowie umfassend abzubilden (vgl. HFDcert – Das HFD Community Certificate).
4. Rahmenbedingungen und Strukturen
Um die Potentiale der Digitalisierung zu entfalten und eine breite Wirkung im deutschen Hochschulsystem zu erzielen, bedarf es nachhaltiger organisatorischer und finanzieller Rahmenbedingungen sowie attraktiver Anreizsysteme.
Digitalisierung als Element von Zielvereinbarungen mit Hochschulen
Die explizite Aufnahme von quantitativen sowie qualitativen Zielen bzgl. der Digitalisierung von Studium und Lehre in die Zielvereinbarungen zwischen Ländern und Hochschulen stellt ein wirksames Instrument dar, um die Auseinandersetzung mit innovativer und digitaler Lehre strategisch zu verankern.
Entfristung von Projekten und (innovativen) Lehrstrukturen
Begrenzte Projektlaufzeiten und ein Wettbewerb um qualifizierte Mitarbeiter*innen charakterisieren u.a. die Rahmenbedingungen an Hochschulen. Um Strukturen, personelle Expertise und Innovationsfähigkeit sowie zentrale Support-Services langfristig zu sichern, werden nachhaltige Finanzierungspläne benötigt.
Diese Strukturen müssen gleichzeitig mit einer expliziten zukunftsfähigen Ausrichtung verbunden finanziert werden, so sollten etwa Hochschuldidaktikzentren in der Zukunft innovative Lehre als einen Schwerpunktbereich haben.
Förderung und Wettbewerbe für innovative Lehre, Technologien und Bildungsressourcen
Gleichzeitig sollten auch kurzfristiger orientierte Anreizsysteme – z.B. (digitale) Lehrpreise, Lehrfreisemester, Lehrdeputat-reduzierungen und Förderprogramme (z.B. für Pilotprojekte, datengetriebene Technologien und Methoden, OER) – weiter ein wichtige Rolle spielen, da sie agiler eine verstärkende Wirkung entfalten und Innovationen aufnehmen können. Hochschulen sollten dabei aber größere Freiräume zur Umsetzung eigener Ideen haben.
5. Finanzielle und ideelle Förderung von EdTech
Das Potential von EdTech-Start-ups und entsprechenden strategischen Partner-schaften für Innovationen in der Hochschulbildung bzw. Hochschullehre muss erkannt und gezielt gefördert werden.
Um Innovationen im Bildungssystem voranzutreiben, gilt es Expertise und Impulse verschiedener Stakeholdergruppen mit einzubeziehen. Ein bislang nur geringfügig ausgeschöpftes Potential stellen in diesem Zusammenhang EdTech-Unternehmen dar: Sie erhalten im Kontrast zu anderen Start-up-Sektoren (vgl. EY Start-up-Barometer 2019) sowie im internationalen Vergleich nur geringe finanzielle sowie ideelle Förderung. Entsprechende Programme und Wettbewerbe mit Mentoring- bzw. Matching-Fokus könnten EdTech-Unternehmer*innen den nötigen Zugang zu Hochschulen bzw. dem gesamten Bildungssystem gewähren und so ermöglichen, dass Innovationen gemeinschaftlich entwickelt und zielführend implementiert werden können.
Dieser Beitrag entstand für einen Reader mit Texten zur Orientierung im Rahmen des Workshops „WISSENSCHAFT. FREIHEIT. POLITIK.“ des Wissenschaftsforums der Sozialdemokratie am 12. April 2019 in Berlin.