Die Diskussion um die rechtliche Grundlage für Befristungen im Wissenschaftsbetrieb hat jüngst wieder an Fahrt aufgenommen. Nach der Bayreuther Erklärung von Kanzlern:innen deutscher Universitäten, die die Befristungspraxis der Universitäten als zwingend nötig erachten, hat sich zuletzt auch der Deutsche Hochschulverband (DHV) in eine ähnliche Richtung positioniert.
In der Bayreuther Erklärung wird der Mittelbau als „Qualifizierungssystem“ im Dienste von Wirtschaft und Gesellschaft dargestellt. Wo man im Promotionsbereich damit durchaus dem Erwerb verschiedenster Kompetenzen noch ein anderes Gewicht geben kann, stellt sich gerade im Postpromotionsbereich die Fragen, warum der Wissenschaftsbetrieb deutlich „über den Durst“ ausbildet und wo die alltägliche, dauerhafte Kärrnerarbeit, die der Mittelbau häufig leistet, eigentlich angesiedelt werden soll.
Der DHV hat nach eigener Aussage bei seiner Ablehnung einer Systemänderung das „Wettbewerbsparadigma“, das in der Wissenschaft „weltumspannend“ gilt, im Blick. International gesehen haben die Kollegen:innen üblicherweise frühzeitig die Möglichkeit auf eine Tenure-Stelle, zur späteren Weiterentwicklung ebenfalls Anreize. Wollte man also dieses „weltumspannende Wettbewerbsparadigma“ auf den Wissenschaftsbetrieb in Deutschland anwenden, müsste wir uns in diese Richtung bewegen.
In beiden Positionspapieren wird die aktuelle Befristungspraxis offenkundig als einzig wahres Mittel dafür gesehen, Dynamik im Wissenschaftsbetrieb herzustellen. Befristung auf breiter Basis ist aber kein Garant für Dynamik, sondern schafft andere Probleme wie etwa eine risikoaverse Orientierung am Mainstream und an kurzfristigen Forschungszielen. Jenseits solcher innovationsbehindernder Logiken lassen sich aber, so argumentiere ich in diesem Beitrag, Dynamiken im Postpromotionsbereich auf zugleich sozialverträgliche und innovationsfördernde Weise besser erzeugen.
Der Tenure im so genannten „Mittelbau“
Der DHV befindet neben seiner prinzipiellen Befürwortung einer weitläufigen Befristungspraxis, dass bis zu 25 % der Postdocs die Möglichkeit zu einem „echten Tenure“ erhalten sollten. Bedeutet dies automatisch eine Ausweitung des Juniorprofessorenprogramms? Dies müsste eine deutliche Erhöhung der zur Verfügung stehenden Professoren nach sich ziehen und erscheint daher eher unwahrscheinlich. Man darf aus meiner Sicht mit Blick auf Entwicklungsanreize sogar hinterfragen, ob das prinzipiell sinnvoll wäre. Die Juniorprofessur könnte zwar nach wie vor als „Fast Track“ erhalten bleiben, nötig wäre aber dafür eine neue Tradition der Open Rank-Ausschreibung in Deutschland.
In eine andere Kerbe schlagen jüngst ausgearbeitete und teils angewandte Konzepte, die z. B. auf Akademischen Ratsstellen oder als Senior Researcher/Lecturer Wissenschaftler:innen nach einem Eignungsprüfungszeitraum verdauern. Dies bedeutet zum einen, bei entsprechender Ausgestaltung, soziale Sicherheit und damit eine bessere Möglichkeit, sich zu beweisen, zum anderen sind aber durch die besser ausgestattete, prestigeträchtigere Professur als nächste Entwicklungsstufe weiterhin Entwicklungsanreize gesetzt. Ein wichtiges Detail aber darf nicht übersehen werden: Wer sich mehrjährig in Forschung und Lehre bewährt hat und danach, wie im Bremer Hochschulgesetz für Lektoren:innen festgehalten, selbständig forscht und lehrt, müsste Hochschullehrerstatus haben. Warum hier ein grundlegender Unterschied zur Juniorprofessur gemacht werden sollte, ließe sich wohl kaum begründen. Dieser Status würde diese neue Personalkategorie klar von (weiterhin notwendigen) Lehrkräften für besondere Aufgaben abgrenzen.
Für die Dynamisierung ließen sich gerade in diesem neuen Personalsegment unterschiedliche Maßnahmen vorstellen. Auslandsaufenthalte oder Erfahrungen an anderen Institutionen könnten Kriterien oder zumindest Bonuspunkte für die Berufung auf eine Tenure-Stelle und die Evaluation darstellen. Eine leistungsbezogene Bezahlung kann ebenso zu einer Dynamisierung beitragen wie Deputatsreduktionen für größere Lehr-, Forschungs- oder Transferprojekte. Nicht zuletzt wäre eine Verbeamtung eine Dynamikbremse, da sie die Durchlässigkeit aus dem Wissenschaftsbetrieb in andere Bereiche verringert.
Zwei oder eine Personalkategorie?
In Sachsen wurde im Koalitionsvertrag vereinbart, Personalkategorien der Art Senior Researcher/Lecturer einzuführen, an der Uni Bremen wurde dies bereits implementiert. Solche Personalkategorien führen endlich eine durchgängige Beschäftigungs- und Entwicklungslogik in das derzeitige Schema „Promotion – lange immer wieder irgendwas dazwischen – vielleicht irgendwann eine Professur“ ein.
An die Schaffung von zwei neuen Personalkategorien, die frühzeitig im Arbeitsprofil unterschieden werden, möchte ich jedoch ein deutliches Fragezeichen setzen. Warum nicht eine Kategorie, die flexibel ausgestaltet werden kann? Diese Flexibilität würde dann nicht nur im Anfangszeitraum gelten, sondern für unterschiedliche Phasen der wissenschaftlichen Arbeit: Man stelle sich vor, man sei für eine Zeit in einem größeren, arbeitsintensiven Forschungsverbund integriert, würde sich aber danach auf die Vermittlung der darin gewonnenen Erkenntnisse in Lehre und Transfer fokussieren. Ein flexibilisiertes Lehrdeputat, bei dem auch Transferaufgaben deputatswirksam wären, würde dafür einen Rahmen schaffen.
Solche Möglichkeiten einzurichten könnte spannendere Ergebnisse liefern, als früh auseinanderzudividieren. Außerdem können dadurch sich ergebende unterschiedliche Profilbildungen (Lehre, Forschung oder Transfer) positiv auf die Personalkategorie der Professur ausstrahlen, wenn diese Vielfalt darin übernommen würde. Auch wäre einer möglichen Unwucht bei Professurbesetzungen zugunsten einer Stellenkategorie entgegengewirkt: Da bei der Berufung auf Professuren wahrscheinlich weiterhin Forschungsleistungen bevorzugt berücksichtigt werden, hätten Senior Researcher alleine schon aufgrund ihres frühzeitig festgelegten Aufgabenprofils einen Vorteil.
Neue Ansätze statt alter Hüte
Der Druck zu Veränderungen im deutschen Wissenschaftssystem ist nicht zu unrecht hoch. Die Befristungspraxis, die inzwischen große Teile des wissenschaftlichen Personals umfasst, hat in Kombination mit Publikations- und Drittmittelanforderungen zu einer Aufheizung des Systems geführt, die in einem inneren Ausbrennen resultieren kann. Einfach nur am Status quo dieser Praxis festzuhalten, erscheint reichlich ideenlos. Um die Leistungsfähigkeit des Wissenschaftsstandorts Deutschland zu erhalten, braucht es dringend neue, zugleich sozialverträgliche und innovationsfördernde Ansätze. Der Tenure im „Mittelbau“ könnte dies aus meiner Sicht leisten.
PROF. DR. OLIVER CZULO
ist Professor für Übersetzungswissenschaft und beschäftigt sich mit Sprech- und Denkmustern in verschiedenen Sprachen und Kulturen. Er schrieb schon für verschiedene Blogs zu gesellschafts- und wissenschaftspolitischen Themen. Privat ist er gelegentlich ein unverbesserlicher Optimist.
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Dieser Text ist ein Debattenbeitrag und gibt die Meinung des Autors wider. Sie entspricht nicht unbedingt der Position des Wissenschaftsforums der Sozialdemokratie oder der SPD insgesamt.