In der Wissenschaftspolitik der vergangenen zwei Jahrzehnte ist viel geschehen. Ob Exzellenzwettbewerb oder Juniorprofessur, Emmy-Noether-Programm oder Bologna-Prozess, Nachwuchs- oder Hochschulpakt – viele große und kleine Initiativen und Projekte wurden angestoßen. Sozialdemokratische WissenschaftspolitikerInnen hatten hieran maßgeblichen Anteil.
Neben positiven Entwicklungen der letzten Jahre gibt es jedoch eindeutige Defizite, die teils durch die ergriffenen Maßnahmen bedingt oder verstärkt, zumindest aber nicht behoben wurden. So haben die erheblichen finanziellen Aufwüchse aus Bundesmitteln für den Wissenschaftsbereich, insbesondere für die außeruniversitäre Forschung, aber auch für die DFG und die Exzellenzinitiative, nichts an der chronischen Unterfinanzierung vieler Hochschulen geändert. Während diese ihre Kernaufgaben in Lehre und Forschung oft nicht mehr adäquat erfüllen können, leisten die Mittel aus verschiedenen Pakten hier nur unzureichend Abhilfe. Weiter führt das gewachsene Ungleichgewicht zwischen Drittmittel- und Grundfinanzierung zu erheblichen Verwerfungen: Vom Befristungsunwesen über die Marginalisierung der Lehre und die systematische Benachteiligung kleinerer Standorte oder Fächer bis hin zur Verhinderung individueller riskanter Forschungsprojekte werden viele Probleme insbesondere von der Fokussierung auf die Großprojektförderung befeuert.
Der Regierungswechsel in Berlin und der gerade beginnende Erneuerungsprozess der SPD liefern den Anlass, über Anspruch und Ziele sozialdemokratischer Wissenschaftspolitik neu nachzudenken. Die Grundwerte der SPD – Freiheit, Gerechtigkeit, Solidarität – taugen als Orientierungshilfen durchaus auch für die Wissenschaftspolitik: Ziel von SozialdemokratInnen sollte es sein, Bedingungen für ein freies, gerechtes und, ja, auch solidarisches Wissenschaftssystem zu schaffen, welches neues Wissen generiert, Teilhabe möglichst Vieler an diesem Wissen ermöglicht, und Perspektiven zur Anwendung der gewonnenen Erkenntnisse für die Gestaltung einer gerechten und nachhaltigen Zukunft aufzeigt.
Drei aus meiner Sicht besonders wichtige Handlungsfelder sollen hier herausgegriffen werden. Miteinander kombiniert könnten sie einen entscheidenden Beitrag zur Lösung der oben dargestellten Probleme leisten.
1. Lehre aufwerten
Einheit und Gleichwertigkeit von Lehre und Forschung an den Hochschulen werden oft beschworen, doch kaum gelebt. Einerseits gehört die Lehre zweifellos zum wissenschaftlichen Kerngeschäft: Als öffentliche Bildungsinstitutionen rechtfertigen die Hochschulen ihre Finanzierung aus Steuermitteln zuvorderst über die Lehre, die Hochschulträger bemessen ihre Mittelverteilung zu einem nicht unerheblichen Teil über Studierendenzahlen, ProfessorInnen werden als HochschullehrerInnen (nicht als HochschulforscherInnen!) berufen. Trotzdem erfährt die Lehre nicht die Wertschätzung, die ihr eigentlich zustünde: Berufungsverfahren berücksichtigen die Lehrleistung der BewerberInnen in der Regel allenfalls am Rande oder nur pro forma, Universitäten rühmen sich vor allem mit der Einwerbung von Forschungsprojekten und nur selten mit ihrer Lehrqualität, Engagement für die Lehre wird mit ungleich weniger Mitteln bedacht als das für die Forschung. Die Beispiele ließen sich beliebig fortsetzen. Sozialdemokratische Wissenschaftspolitik sollte dafür arbeiten, dass die Hochschullehre endlich den Stellenwert bekommt, die sie verdient, nicht zuletzt in gesamtgesellschaftlichem Interesse. Denn im Gegensatz zu ProfessorInnen, denen der Unterricht mehr Last als Berufung ist, werden motivierte Lehrende auch ihre Studierenden eher für wissenschaftliche Zusammenhänge und somit für die Lösung aktueller und zukünftiger Herausforderungen in Gesellschaft, Wirtschaft und Wissenschaft begeistern.
2. Grundfinanzierung erhöhen
Dass die Hochschulen sich so sehr auf die Einwerbung von Drittmitteln konzentrieren und ebendies entsprechend honorieren, liegt auch darin begründet, dass der andere Kernbereich der Universitäten – die Forschung – ohne Einwerbung externer Mittel quasi nicht mehr möglich ist. Mit den dürftigen Landesmitteln wird vielfach gerade eben das Pflichtprogramm für die Lehr-Abfertigung möglichst vieler Studierender gefahren, eingesetzt werden hierfür zunehmend befristet beschäftigte oder über prekäre Lehraufträge finanzierte MitarbeiterInnen. An eine Hochschulforschung, die unabhängig von externen Geldgebern neue Forschungsideen abseits ausgetretener Pfade anstößt, denkt kaum noch jemand. Eine auskömmliche, planungssichere Finanzierung der Hochschulen nicht nur für die Lehre, sondern auch für die grundständige Forschung sollte daher ganz vorne auf der Agenda sozialdemokratischer Wissenschaftspolitik stehen. Gute Forschung und Lehre braucht Freiheit und Zeit, wichtig für beides ist finanzielle Planungssicherheit, von der auch das Personal profitieren kann – durch planbarere, verlässlichere, gerechtere Karriereperspektiven. Wenn diese Planungssicherheit angesichts klammer Landeshaushalte oder anderer Budgetprioritäten nicht von allen Bundesländern gleichermaßen gewährleistet werden kann, sollte der Bund im Sinne eines solidarischen Ausgleichs, der gleichsam Engagement belohnt, zur Stelle sein. Denn auch wenn wettbewerbliche Elemente die Wissenschaft bereichern – woher das Geld kommt, ist aus der Perspektive der Universität und ihrer WissenschaftlerInnen egal.
3. Exzellenz neu denken
„Exzellenz“ ist wohl einer der meistgebrauchten Begriffe in den wissenschaftspolitischen Debatten der vergangenen Jahre. Gleichzeitig scheint er der am wenigsten reflektierte zu sein, denn seine Inhalte werden höchst selten hinterfragt. Wie definiert sich also Exzellenz? Über die „internationale Sichtbarkeit“, die „besten Köpfe“, das „große Innovationspotential“, den „überzeugendsten Antrag“ , das „beste Rankingergebnis“? Oder gar über die „meisten Drittmittel“, die „größte Abteilung“ oder „die meisten Doktoranden“? Gerade die Menge der eingeworbenen Forschungsgelder wird immer häufiger als Qualitätsmaß herangezogen – sei es bei Berufungen, Beförderungen und Entfristungen oder bei der strategischen Hochschulplanung. Verkehrte Welt, sollte doch das Ziel die bessere Wissenschaft sein, die mit Drittmitteln gefördert wird, und nicht die Geldeinwerbung selbst zum Hauptziel werden. Doch statt kreativen Köpfen, die sich in Promotion und Postdoc-Zeit mit spannenden wissenschaftlichen Erkenntnissen profiliert haben, früh und mit klaren Perspektiven die Chance zur unabhängigen Entwicklung neuer Ideen zu geben, wetteifern die Universitäten um die etablierten Lehrstuhlinhaber mit den größten Drittmittelnetzwerken. Dies gereicht wohl weder der wissenschaftlichen Generationengerechtigkeit noch der optimalen Nutzung des wissenschaftlichen Kreativpotentials zum Vorteil. Ziel sozialdemokratischer Wissenschaftspolitik sollte daher eine Exzellenzförderung sein, die wissenschaftliche Qualität (und nicht Mittelquantität) ins Zentrum rückt und die Lehre mit einbezieht. Teil einer solchen Politik könnte die Entwicklung innovativer, langfristiger Förderformate für Einzelpersonen oder kleinere, flexible Einheiten sein. Die Überprüfung der Exzellenzdefinitionen sollte einhergehen mit dem Aufbrechen verkrusteter Personalstrukturen und der Abschaffung überkommener Hierarchien, welche die Dynamik im Wissenschaftssystem blockieren. Mitglieder der Jungen Akademie haben mit der Bundesprofessur und dem Papier „Departments statt Lehrstühle“ Debattenbeiträge hierzu geliefert.
Lehre aufwerten, Grundfinanzierung erhöhen, Exzellenz neu denken – die hier dargestellten Vorschläge sind längst nicht vollständig, doch bieten sie Beispiele für eine an den Grundwerten der Sozialdemokratie orientierte Politik, welche Lehre und Forschung stärkt und WissenschaftlerInnen früher bessere Perspektiven ermöglicht. Auf diese Weise wird es der SPD gelingen, weiter die treibende progressive Kraft in der deutschen Wissenschaftspolitik zu bleiben.
DR. CHRISTIAN HOF
Promovierte 2010 in Biologie an der Universität Kopenhagen und ist seit 2011 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrum, wo er sich mit den Auswirkungen des Klimawandels auf die biologische Vielfalt verschieder Tiergruppen beschäftigt. Seit 2016 ist er Sprecher der Arbeitsgruppe Wissenschaftspolitik der Jungen Akademie, welcher er seit 2015 angehört.