Ende der 1960er Jahre wurden die ersten Fachhochschulen mit dem Ziel gegründet, eine wachsende Zahl an Studierenden auf wissenschaftlicher Basis anwendungs- und praxisorientiert auszubilden und zu selbständiger Tätigkeit im Beruf zu befähigen. In den folgenden Jahrzehnten wurde der Fachhochschulsektor kräftig ausgebaut.
Der Primat der Lehre spiegelt sich bis heute in vorwiegend professoraler Lehre und in kleineren Lerngruppen als an Universitäten. Das andere konstitutive Merkmal des Hochschultyps Fachhochschule, der Anwendungsbezug, zeigt sich z. B. an obligatorischen Praxisphasen, die in das Studium integriert sind, und an Lehrenden, die Berufserfahrung außerhalb der Hochschule mitbringen.
Allerdings hat sich das Funktions- und Anforderungsspektrum des Hochschultyps Fachhochschule im Laufe der Zeit erheblich erweitert. Inzwischen gehören auch anwendungsbezogene Forschung und Entwicklung zu den Aufgaben der Fachhochschulen. Einige Landeshochschulgesetze regeln, dass zudem die Aufgaben Weiterbildung und z. T. Wissens- und Technologietransfer den Fachhochschulen in besonderer Weise obliegen.
Der Wissenschaftsrat hat im Jahr 2010 empfohlen, nicht unterschiedslos allen (Fach‑)Hochschulen sämtliche gesellschaftliche Anforderungen zuzuweisen, sondern auf dem Weg zu einer funktionalen Differenzierung profilierter Hochschulen die Leistungsfähigkeit des Hochschulsystems insgesamt zu steigern. Gleichzeitig hat der Wissenschaftsrat darauf hingewiesen, dass wir in Deutschland bereits jetzt über ein differenziertes Hochschulsystem verfügen. Es wird weiterhin bestimmt von der Typendifferenz Universität vs. Fachhochschule. Aber es gibt nicht (mehr) die Universität im Unterschied zu der Fachhochschule. Stattdessen ist eine wachsende Unterschiedlichkeit und Binnendifferenzierung der Hochschulen eines Typs wahrnehmbar. Diese Unterschiedlichkeit bewertet der Wissenschaftsrates als Chance, denn sie geht bei vielen Hochschulen mit einer Profilierung einher.
Wo stehen die Fachhochschulen heute? In Deutschland gab es im Jahr 2013 insgesamt 215 staatliche und staatlich anerkannte Allgemeine Fachhochschulen, an denen etwa ein Drittel aller Studierenden eingeschrieben war. Manche Fächer bzw. Fächergruppen haben heute an den Fachhochschulen ihren Schwerpunkt, andere werden fast ausschließlich an diesem Hochschultyp angeboten. Über die Hälfte der Absolventinnen und Absolventen in den Ingenieurwissenschaften wurde im Jahr 2013 an Fachhochschulen ausgebildet, und auch die Akademisierung von Pflege- und Gesundheitsberufen wird durch den Aufbau primär fachhochschulischer Studiengänge realisiert. An Allgemeinen Fachhochschulen sind inzwischen über 18.000 Professorinnen und Professoren beschäftigt, von denen einige in Forschung und Entwicklung sehr engagiert sind. Sie warben im Jahr 2013 fast 512 Mio. Euro an Drittmitteln ein, die etwa zur Hälfte von Bund, Ländern und DFG stammten.
Allerdings spiegeln sich das Wachstum und die Fortschritte in der Drittmittelbilanz nicht in der finanziellen und personellen Ausstattung der Fachhochschulen. Wiederholt hat der Wissenschaftsrat darauf hingewiesen, dass die Handlungsspielräume und die Leistungsfähigkeit der Hochschulen dadurch eingeschränkt werden, dass ihre Grundfinanzierung in Folge der Ausweitung der Bildungspartizipation zwar erhöht, nicht jedoch an die gestiegenen Leistungserwartungen und die Zunahme der Aufgaben angepasst wurde. Die Zahl der Fachhochschulprofessorinnen und ‑professoren wurde zwischen 2005 und 2013 um rd. 30 % erhöht. Mit der Zahl der Studierenden ist sie allerdings nicht adäquat mitgewachsen (Aufwuchs um 58 % im selben Zeitraum). Das führt zu verschlechterten Betreuungsrelationen und hat zudem zur Folge, dass die Anforderungen an die einzelne Professorin, den einzelnen Professor erheblich gewachsen sind. Relevant ist dies auch deshalb, weil Professorinnen und Professoren nicht nur in Lehre und Forschung die wesentlichen Leistungsträgerinnen und ‑träger an Fachhochschulen sind, sondern auch, wenn es darum geht, die Fachhochschulen als Motoren der wirtschaftlichen Entwicklung in der Region zu stärken und ihre Kompetenzen und Aktivitäten im Bereich Transfer auszubauen. Problematisch wird es für die Fachhochschulen, wenn durch überhöhte Anforderungen die Attraktivität der Fachhochschulprofessur sinkt. Denn in wirtschaftsstarken Regionen und bei annähernder Vollbeschäftigung von Akademikerinnen und Akademikern haben Fachhochschulen jetzt schon Probleme, Professuren zu besetzen, insbesondere in den MINT-Fächern, in denen die Fachhochschulen nicht nur mit der Wirtschaft, sondern auch mit den Universitäten konkurrieren. Der Wissenschaftsrat befasst sich mit diesem Thema in einer laufenden Arbeitsgruppe.
Die Konkurrenz unter den Hochschulen und auch Hochschultypen um knapper werdende finanzielle und personelle Ressourcen ist sichtlich gewachsen. Aber auch die Verknüpfungen und Vernetzungen zwischen den Hochschultypen sind in den letzten Jahren zahlreicher geworden. Ein Beispiel sind die kooperativen Promotionskollegs von Fachhochschulen und Universitäten, die das Ziel haben, die Promotionsperspektiven von qualifizierten Fachhochschulabsolventinnen und ‑absolventen zu verbessern. Vor fünf Jahren hat der Wissenschaftsrat zudem die Einrichtung von Kooperationsplattformen von Fachhochschulen und Universitäten empfohlen, die als ein stabiles und multifunktionales Gehäuse fungieren sollen, das unterschiedliche Kooperationen auf eine institutionelle, finanziell und rechtlich gesicherte Grundlage stellt. In einer breiteren Umsetzung dieser Empfehlung sieht der Wissenschaftsrat durchaus noch Potential.
Unter den weiteren Perspektiven, die der Wissenschaftsrat für die Fachhochschulen sieht, greife ich die folgenden vier Punkte heraus:
- Der Wissenschaftsrat empfiehlt einen Ausbau des Fachhochschulsektors. Er hält die Fachhochschulen für besonders geeignet, die Nachfrage vieler Studierender nach einer akademischen Ausbildung mit ausgeprägten Praxisbezügen zu bedienen. Die Fachhochschulen sollten stärker als die Universitäten ausgebaut werden und langfristig einen größeren Anteil der Studierenden im Gesamtsystem ausbilden.
- Ein wichtiges politisches Ziel sollte es sein, die Attraktivität der Fachhochschulprofessur zu erhalten bzw. zu erhöhen. Aus Sicht des Wissenschaftsrates sollten die Länder temporäre Schwerpunktsetzungen in den verschiedenen Kernaufgaben durch eine Flexibilisierung des individuellen Lehrdeputats ermöglichen.
- Für die Fachhochschulen hat der Wissenschaftsrat im Jahr 2010 hervorgehoben, dass sie ein eigenes Aufgabenprofil haben und nicht etwa zu „kleinen“ Universitäten weiterentwickelt werden sollen.
- Der Fachhochschulsektor als ganzer hat in bestimmten Bereichen besondere Kompetenzen und deshalb auch Verantwortung. Die Stärkung angewandter Forschung und Entwicklung im Fachhochschulsektor hat der Wissenschaftsrat im Jahr 2010 begrüßt. Er hat aber auch mehrfach auf die Bedeutung der weiteren Leistungsdimensionen neben der Forschung hingewiesen. Im Bereich Lehre betrifft das z. B. neue oder erst im Entstehen begriffene Studiengänge wie Elementarpädagogik oder Gesundheits- und Pflegewissenschaften, außerdem eng mit der beruflichen Praxis verbundene Ausbildungsangebote wie das duale Studium. Eine besondere Chance für die Fachhochschulen besteht im Wissens- und Technologietransfer. Die Fachhochschulen sollten den Transferbereich gezielt mitgestalten und sich damit profilieren. Für die Innovationsfähigkeit von Wirtschaft und Gesellschaft spielen sie eine elementare Rolle.
Die Entwicklung des Fachhochschulsektors kann insgesamt als ausgesprochen positiv bewertet werden. Das Potential dieses Bereichs erscheint auch angesichts der aktuellen Herausforderungen als vielversprechend. Die Fachhochschulen übernehmen eine wichtige Funktion in unserem Hochschul- und Wissenschaftssystem. Deshalb gilt es, diesen Sektor weiterhin zu stärken. Die Rahmenbedingungen sind so zu gestalten, dass die einzelnen Einrichtungen auch künftig in der Lage sind, ihre vielfältigen Funktionen und die ihnen obliegenden Aufgaben auf hohem Niveau zu erfüllen.
Prof. Dr. Manfred Prenzel
ist Vorsitzender des Wissenschaftsrates