Fachhochschulen sind eine Frucht der großen Bildungsreformen der 1968er Jahre und seit ihrer Gründung Motoren von Bildungsgerechtigkeit und Chancengleichheit. Die Absolventinnen ihrer anwendungsorientierten Studiengänge finden problemlos den Weg in den Arbeitsmarkt und werden in der Praxis hoch geschätzt. Die zentrale Rolle der Hochschulen für angewandte Wissenschaften als Impulsgeber für die Region und Partner insbesondere der mittelständischen Wirtschaft ist unumstritten. Umstritten ist jedoch die Richtung der zukünftigen Weiterentwicklung.
Gegründet wurden die Fachhochschulen als Einrichtungen für praxisorientierte Studiengänge und knüpften oftmals an Vorgängerinstitutionen wie Bauakademien, Ingenieur- oder Kunstgewerbeschulen und andere höhere Fachschulen an. Seit dem Hochschulrahmengesetz 1976 sind sie dem tertiären Bildungswesen zugeordnet, und seit der Novellierung des HRG 1985 gehört anwendungsorientierte Forschung und Entwicklung zu ihren Aufgaben. Heute erwirbt gut ein Drittel der Hochschulabsolventinnen und Hochschulabsolventen an Hochschulen für angewandte Wissenschaften den Studienabschluss. Insbesondere der Hochschulpakt hat zu einer erheblichen quantitativen Ausweitung der Studienplätze an Fachhochschulen geführt.
Mit dem quantitativen Wachstum ist unübersehbar auch eine qualitative Entwicklung verbunden – wohin diese gehen soll, ist Gegenstand von Kontroversen. Dieser Beitrag will einige Diskussionslinien aufzeigen.
Unstrittig ist, dass Hochschulen für angewandte Wissenschaften (HAW; Universities of Applied Sciences) einen spezifischen, nämlich anwendungsorientierten Lehr- und Forschungsauftrag haben, den sie besonders in interdisziplinärer bzw. transdisziplinärer Zusammenarbeit realisieren. Durch die Ausrichtung auf die Lösung praktischer Aufgabenstellungen gelingt ihnen der Transfer von wissenschaftlichen Erkenntnisfortschritten in Wirtschaft und Gesellschaft häufig besonders gut. Hierzu trägt bei, dass nur diejenigen Professor/in an Fachhochschulen werden können, die neben überdurchschnittlicher wissenschaftlicher Kompetenz auch über erfolgreiche mehrjährige berufliche Praxis jenseits des Wissenschaftssystems verfügen und damit „beide Welten“ kennen.
Ebenso unstrittig ist die größte Stärke der Fachhochschulen – ihre ausgezeichnete Lehre. Durch ihren spezifischen Bildungsauftrag erschließen Fachhochschulen Begabungspotentiale und Talente für Forschung und Innovation, gerade in der Gruppe der Erstakademiker/inn/en. Sie verwirklichen damit exemplarisch sozialdemokratische Bildungspolitik.
In der Diskussion ist hingegen, welche Rolle Forschung an Fachhochschulen zukünftig haben soll und wird. Die Gegenwart ist gekennzeichnet von erheblichen Unterschieden: Es gibt Fachhochschulen, in denen das Drittmittelvolumen pro Professor/in höher ist als an manchen forschungsschwachen Universitäten, ebenso wie es Fachhochschulen gibt, in denen Forschung (noch) keine nennenswerte Rolle spielt. Der häufigste Fall sind Hochschulen für angewandte Wissenschaften mit erkennbaren Forschungsschwerpunkten, oft in Verbindung mit entsprechenden Masterstudiengängen, während andere Bereiche innerhalb der gleichen Hochschule deutlich weniger forschungsaktiv sind. Die Erarbeitung einer „Forschungslandkarte“ der Hochschulrektorenkonferenz hat profilbildende Forschungsbereiche an Fachhochschulen erstmals insgesamt sichtbar gemacht und bietet damit die Möglichkeit gezielter Förderung. Die neue BMBF-Ausschreibung FHprofUnt 2015 bezieht sich auf die gleichen Kriterien zur Definition eines Forschungsschwerpunkts, wie sie auch der Forschungslandkarte zu Grunde liegen.
Die Fachhochschulen in Deutschland haben sich weiterentwickelt. Nicht nur Forschungsbezug in der Lehre, sondern auch eigene, anwendungs- und praxisorientierte Forschung zeichnen sie heute aus, nicht zuletzt befeuert durch den Bologna-Prozess und die Gleichstellung der Bildungsabschlüsse. Es wäre unrealistisch, den Mitte der 1980-er Jahre erreichten Stand der institutionellen Entwicklung zementieren zu wollen. Dies würde den Megatrend der Bildungsexpansion und der zunehmend wissens- und technologiegetriebenen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklung ignorieren. Es ist daher hohe Zeit, auf die unbestreitbare Weiterentwicklung dieser Hochschulform zu reagieren und die Rahmenbedingungen für Forschung an Fachhochschulen systematisch zu verbessern. Dazu gehört die Möglichkeit zur Qualifizierung des eigenen wissenschaftlichen Nachwuchses durch das Promotionsrecht, eine angemessene Berücksichtigung gestiegener Forschungstätigkeit für das professorale Lehrdeputat und der Zugang zu Forschungsressourcen.
Das weitgehende Fehlen eines akademischen „Mittelbaus“ hemmt die Entwicklung der Fachhochschulforschung erheblich. Sowohl das fehlende Promotionsrecht als auch das Fehlen entsprechender Qualifizierungsstellen für die Promotions- und auch für die PostDoc-Phase erschweren es, viel versprechende Absolventinnen und Absolventen zu halten und langfristige Kooperationen mit Forschungspartnern einzugehen. Fachhochschulen brauchen deshalb eigene haushaltsfinanzierte Qualifizierungsstellen für ihren wissenschaftlichen Nachwuchs und ein qualitätsgesichertes eigenes Promotionsrecht, zumindest aber ein garantiertes und gleichberechtigtes entsprechendes Mitwirkungsrecht an universitären Promotionsverfahren.
Prekäre Beschäftigung ist allerdings an Fachhochschulen seltener als an Universitäten, und sie bieten attraktive Karrierewege, die ebenfalls zur Professur führen. Gerade Bildungsaufsteiger/innen sollten vom Weg zur Promotion und FH-Professur nicht durch eine einseitige Diskussion der prekären Arbeitsverhältnisse in der Wissenschaft abgeschreckt werden. Die Befristung von Qualifizierungsstellen an den Universitäten ist letztlich sogar eine Voraussetzung dafür, Nachwuchs für FH-Professuren zu qualifizieren. Denn für eine FH-Professur ist eine mindestens dreijährige außeruniversitäre Berufserfahrung Berufungsvoraussetzung.
Professorinnen und Professoren an Fachhochschulen haben mit 18 Semesterwochenstunden ein doppelt so hohes Lehrdeputat wie an Universitäten. Gleichzeitig sind sie weniger von administrativen Aufgaben entlastet, da an Fachhochschulen auch weniger Verwaltungspersonal zur Verfügung steht. Um ihrem anwendungsorientierten Forschungsauftrag und insbesondere ihrem Transferauftrag besser nachkommen zu können, muss der rechtliche und finanzielle Spielraum der Fachhochschulen für flexible und differenzierte Abminderungen der Lehrverpflichtung erweitert werden.
Forschungsressourcen wurden bislang immer noch vornehmlich für Universitäten und – in den letzten Jahren zunehmend – für außeruniversitäre Forschungseinrichtungen bereitgestellt. Diese grundlagenorientierte Forschungsförderung innerhalb von disziplinären Logiken und Grenzen kann zu einer Fehlallokation von Bundesmitteln führen, weil Fachkräftesicherung und Innovationspolitik gerade in praxis- und transferorientierten Strukturen zum Tragen kommen. Dies sollte mit der Nachfolge Exzellenzinitiative schrittweise überwunden werden. Der Beschluss der Regierungschefinnen und Regierungschefs von Bund und Ländern vom 11.12.2014 sieht entsprechend vor, Hochschulen in der Ausbildung von Profilen in allen Leistungsbereichen (also auch bei Innovation, Transfer und Lehre) zu unterstützen und strategische Kooperation von Hochschulen mit anderen Akteuren in regionalen Verbünden zu fördern.
Die Fachhochschulen fordern, dass die verfügbaren Mittel der neuen Exzellenziniative so auf die im Beschluss vom 11.12.2014 genannten Förderbereiche aufgeteilt werden, dass anwendungs- und transferorientierte Forschung an Fachhochschulen nachhaltig abgesichert wird. Die zeitgemäße Weiterentwicklung der Hochschulen für angewandte Wissenschaften kann so auch zukünftig sozialdemokratische Bildungsziele verwirklichen helfen.
Dank an Klaus Semlinger und den Arbeitskreis sozialdemokratischer Fachhochschulpräsident/inn/en, dessen Arbeitspapiere die Grundlage zu diesem Beitrag lieferten.
Prof. Dr. Christiane Dienel
ist Rektorin der HAWK Hildesheim, Holzminden, Göttingen