Fachhochschulen (Hochschulen für angewandte Wissenschaften) haben einen besonders anwendungsorientierten Lehr- und Forschungsauftrag. Ihre Kompetenz für anwendungsbezogene Wissensgenerierung und -vermittlung ergibt sich vor allem aus folgenden Faktoren:
- Die Curricula ihrer Studienangebote sind auf die wissenschaftsbasierte Vermittlung von Kompetenzen ausgerichtet, die in beruflichen Handlungsfeldern benötigt werden. Curricula werden meist im Kontakt mit der beruflichen Praxis entwickelt.
- Die Lehre an Fachhochschulen wird durchgängig von Personen wahrgenommen, die das berufliche Praxisfeld, auf das die Studienangebote ausgerichtet sind, gut kennen: Zur Professorin der zum Professor an einer Fachhochschule wird nur berufen, wer neben wissenschaftlicher Kompetenz (Promotion und Forschungserfahrung) auch eine erfolgreiche Tätigkeit in der beruflichen Praxis außerhalb des Hochschulsystems nachweist. Professorinnen und Professoren an Fachhochschulen kennen damit „beide Welten“ und bringen mit ihrer Doppelqualifikation sehr gute Voraussetzungen für die Vermittlung wissenschaftlicher Erkenntnisse und Methoden in der beruflichen Praxis mit. Auch die Lehrbeauftragten, die neben den Professorinnen und Professoren an Fachhochschulen lehren, tun dies mit engem Anwendungsbezug, da sie in der Regel hauptberuflich in der Praxis tätig sind.
- Studium, Lehre und Forschung sind an den Fachhochschulen in der Regel stärker interdisziplinär organisiert als an Universitäten. Studienangebote, die auf die Qualifizierung für die berufliche Praxis orientiert sind, müssen in aller Regel verschiedene wissenschaftliche Disziplinen bündeln, da die Lösung von Praxisproblemen meist auch das Zusammenwirken von Erkenntnissen und Methoden verschiedener Disziplinen erfordert. Professorinnen und Professoren an Fachhochschulen sind es deshalb gewohnt, inter- oder transdisziplinär zusammenzuarbeiten. Dies erleichtert den Anwendungsbezug.
- Studierende an Fachhochschulen lernen von Anfang an, ihr Wissen auf Praxisprobleme anzuwenden – nicht nur dank der anwendungsorientierten Studien- und Lehrinhalte, sondern auch aufgrund ihres eigenen engen Kontakts mit der Praxis: Obligatorische, von der Hochschule begleitete Praxissemester sind Bestandteil fast aller Studiengänge; studentische Abschlussarbeiten (Bachelor- und Masterarbeiten) werden häufig in Kooperation mit einem Unternehmen oder einer anderen Organisation der beruflichen Praxis geschrieben und haben die Lösung eines konkreten Praxisproblems mit Hilfe wissenschaftlicher Erkenntnisse und Methoden zum Gegenstand.
Fachhochschulen sind damit in besonderem Maße Institutionen des Transfers – des Transports von wissenschaftlichen Erkenntnisfortschritten in die praktische Anwendung in Wirtschaft und Gesellschaft. Sie leisten diese Transferaufgabe nicht nur in Lehre und Studium, sondern auch in anwendungsbezogener Forschung und Entwicklung. Die Orientierung an praktischen Problemstellungen und ihren Lösungen macht Fachhochschulen besonders aufgeschlossen und geeignet für die Zusammenarbeit mit Wirtschaft und Gesellschaft in der Analyse praktischer Probleme und der Entwicklung von Produkten, Produktionsstrukturen und -prozessen, insbesondere mit kleinen und mittleren Unternehmen vor Ort. Fachhochschulen tragen damit auf zwei Wegen maßgeblich zur Stärkung der regionalen Wettbewerbsfähigkeit bei: durch die bedarfsgerechte Bereitstellung qualifizierter Fachkräfte („Transfer über die Köpfe“) und durch anwendungsbezogene Forschung und Entwicklung mit und für Unternehmen und Organisationen in ihrer Region.
Aus dem Ausland ist das Interesse am Modell der Fachhochschulen als Institutionen des Transfers von wissenschaftlichen Erkenntnisfortschritten in die praktische Anwendung während der letzten Jahre erheblich gewachsen. Vor allem in Schwellen- und Entwicklungsländern setzt sich zunehmend die Erkenntnis durch, dass wirtschaftliche Entwicklung in hohem Maße von Transferleistungen abhängt, wie sie in Deutschland von den Fachhochschulen erbracht werden. Die traditionellen Universitäten werden für die Erbringung derartiger Transferleistungen häufig als wenig geeignet angesehen, da sie meist rein disziplinär organisiert sind und der Anwendungsbezug wissenschaftlicher Erkenntnisse in ihnen nur eine nachrangige Rolle spielt; ihre Professorinnen und Professoren haben in ihrer Karriere auch nur selten die praktische Berufswelt außerhalb der Universität kennengelernt. Die Qualifikation von Absolventinnen und Absolventen der traditionellen Universitäten gilt deshalb oft als zu theoretisch und zu wenig geeignet für die Anwendung in der Praxis.
Wie stark das Interesse am Modell Fachhochschule in wichtigen Ländern ist, lässt sich beispielhaft an folgenden Entwicklungen ablesen:
- In China hat die Zentralregierung 2014 verkündet, einen Teil der chinesischen Universitäten nach dem Modell deutscher Fachhochschulen umzugestalten. Hintergrund ist das krasse Missverhältnis zwischen einem Überangebot an vorrangig theoretisch qualifizierten Universitätsabsolventinnen und -absolventen, die nur schwer Arbeit finden, und einer großen Knappheit an Arbeitskräften mit anwendungsbezogener wissenschaftlicher Qualifikation.
- In Brasilien hat die Bundesregierung sich vorgenommen, die „Institutos federais de educação, ciência e tecnologia“ dem Modell der deutschen Fachhochschulen entsprechend weiterzuentwickeln. Bei den „Institutos federais“ handelt es sich um ein von der Bundesregierung finanziertes und organisiertes System von Berufsschulen, dessen Wissenschafts- und Forschungsbasierung inzwischen als nicht mehr ausreichend angesehen wird, um die notwendigen Transferleistungen aus der Wissenschaft in die Praxis zu erbringen. Die deutsche Hochschulallianz UAS7, der die größten deutschen Fachhochschulen angehören, beteiligt sich zusammen mit der brasilianischen Bundesregierung und dem DAAD am Prozess der Umgestaltung dieser Institutionen.
- Modellhaft engagieren sich verschiedene Konsortien deutscher Fachhochschulen in verschiedenen Schwellen- und Entwicklungsländern bei der Gestaltung von Hochschulen oder Hochschulsystemen, die am Modell der deutschen Fachhochschulen ausgerichtet sind. Dazu gehören die Chinesisch-deutsche Hochschule für angewandte Wissenschaften an der Tongji-Universität in Shanghai (CDHAW), die German-Jordanian University in Amman und ein im Aufbau befindliches, an die CDHAW angelehntes Modell in Mexiko.
- Selbst in den USA besteht inzwischen erhebliches Interesse am Modell Fachhochschulen, obwohl US-amerikanische Universitäten ihren Professorinnen und Professoren in der Regel sehr viel mehr Durchlässigkeit zwischen Wissenschaft und Praxis bieten als beispielsweise deutsche Universitäten und damit für mehr Anwendungsbezug von Lehre und Forschung sorgen. Das Interesse richtet sich vor allem auf das Modell des dualen Studiums, für das angesichts fehlender anderer dualer Ausbildungsstrukturen große Bedarfe gesehen werden – nicht zuletzt von deutschen Unternehmen, die in den USA tätig sind. Das Hochschulkonsortium UAS7 engagiert sich in der Umsetzung dieses Modells in den USA.
Die schnelle Übertragbarkeit des Modells der deutschen Fachhochschulen wird bei derartigen Modellen gelegentlich überschätzt – vor allem weil es Zeit braucht, die akademische und berufspraktische Doppelqualifikation zu entwickeln, über die Professorinnen und Professoren deutscher Fachhochschulen verfügen. Dennoch deutet sich an, dass das Modell der deutschen Fachhochschulen zu einem Exportschlager werden könnte. Zu seiner Unterstützung ist die deutsche Außenwissenschaftspolitik gefragt.
Prof. Dr. Bernd Reissert
ist Präsident der Hochschule für Wirtschaft und Recht (HWR) in Berlin und Vorsitzender der Hochschulallianz UAS7