Die klassische Karriere beginnt für die Mehrzahl der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mit unsicheren und prekären Beschäftigungsverhältnissen. Die Zahl der Fristverträge wächst. 90 Prozent der wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben nur einen befristeten Arbeitsvertrag. Mehr noch: Rund die Hälfte dieser Arbeitsverträge hat eine Laufzeit von unter einem Jahr. Da beginnt mit der Unterzeichnung des neuen Vertrages schon die Suche nach der nächsten Arbeitsstelle. In solch extrem kurzen Zeitspannen lässt sich jedenfalls kein Forschungsprojekt durchführen, geschweige denn eine Doktorarbeit schreiben. Letztlich hängt die Qualität von Lehre und Forschung an den Hochschulen ganz wesentlich von den Arbeitsbedingungen der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ab. Dabei gibt es ein deutliches Gefälle zur Privatwirtschaft. Eineinhalb Jahre nach der Promotion haben an den außeruniversitären Forschungseinrichtungen nur acht, an den Hochschulen zwölf Prozent einen unbefristeten Arbeitsvertrag. Zum Vergleich: In der Privatwirtschaft haben zwei von drei Promovierten ein unbefristetes Arbeitsverhältnis.
Klar ist: Viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben Freude an ihrer Arbeit und identifizieren sich mit ihren Inhalten. An den Rahmenbedingungen verzweifeln sie hingegen: Immer mehr Fristverträge mit kürzeren Laufzeiten und kaum planbaren Karrierewegen – neun von zehn Nachwuchswissenschaftlern wünschen sich mehr Verlässlichkeit im Arbeitsleben.
Diese Zahlen sind spätestens seit der Evaluation des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes und der Veröffentlichung des Bundesberichts wissenschaftlicher Nachwuchs bekannt. „Eine Neuordnung der Karrierewege an den Hochschulen und in wissenschaftlichen Einrichtungen wird derzeit von zahlreichen Beobachtern übereinstimmend als zentrale Herausforderung für das deutsche Wissenschaftssystem interpretiert. Der Wissenschaftsrat teilt diese Einschätzung“, heißt es in den kürzlich veröffentlichten Empfehlungen des Wissenschaftsrates zu Karrierezielen und -wegen an den Universitäten. Auch in der Bundespolitik ist dieses Thema längst angekommen. Hatte 2013 die alte schwarz-gelbe Regierung zunächst die Hochschulen und die Bundesländer in der Pflicht gesehen, gibt es in der Großen Koalition bereits erste Überlegungen für eine Reform des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes. So hat Simone Raatz für die SPD-Bundestagsfraktion Eckpunkte für eine Reform des Gesetzes vorgelegt, die aus Sicht der Gewerkschaften eine vernünftige Grundlage für eine Reform sind.
Oberstes Ziel der Reform muss es sein, für planbare Karrierewege und stabile Beschäftigung zu sorgen. Vor allem müssen Mindeststandards für befristete Arbeitsverträge definiert werden. Wenn eine Doktorarbeit fünf Jahre dauert, sollten auch die Promovierenden Fünf-Jahres-Verträge bekommen. Läuft ein Drittmittel-Projekt drei Jahre, sollten auch die Forscherinnen und Forscher für mindestens drei Jahre beschäftigt werden. Und das nicht-wissenschaftliche Personal sollte von Drittmittel-Befristungen grundsätzlich ausgenommen werden, denn es erledigt Daueraufgaben an den Hochschulen und Forschungseinrichtungen.
Auch die Vereinbarkeit von Familie und Beruf gehört auf die Tagesordnung. Wer Kinder betreut, in Elternzeit geht oder dem Mutterschutz unterliegt oder Angehörige pflegt, sollte einen Rechtsanspruch auf eine Vertragsverlängerung erhalten. Solche simplen Prinzipien müssen endlich auch im Wissenschaftszeitvertragsgesetz verankert werden. Alle Beschäftigten an Hochschulen und Forschungseinrichtungen haben Anspruch auf tarifvertraglichen Schutz. Die Gewerkschaften fordern daher die Ausdehnung des Geltungsbereichs der Flächentarifverträge des öffentlichen Dienstes auf alle Beschäftigten in Hochschule und Forschung. Wir treten dabei für wissenschaftsspezifische Regelungen ein, die den besonderen Anforderungen des Arbeitsplatzes Hochschule und Forschung Rechnung tragen. Der Gesetzgeber muss die Tarifautonomie von Gewerkschaften und Arbeitgebern respektieren und das Verbot, Regeln zur Befristung von Arbeitsverträgen in Hochschule und Forschung auszuhandeln und anzuwenden, aufheben. Die Tarifsperre im Wissenschaftszeitvertragsgesetz muss endlich ersatzlos gestrichen werden!
Doch auch jenseits des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes können der Bund und die Länder für stabile Beschäftigung und berechenbare Karrierewege an den Hochschulen sorgen. Sie fördern mit Milliardenbeträgen Hochschulen und Forschungseinrichtungen – zum Beispiel über den Pakt für Forschung und Innovation, die Exzellenzinitiative oder den Qualitätspakt Lehre. Dabei dürfen die Regierungen nicht länger dulden, dass die Hochschulen als öffentliche Arbeitgeber systematisch Beschäftigung deregulieren, Arbeit prekär gestalten und Tarifflucht betreiben. Hochschulen und Forschungseinrichtungen, die Geld aus Bund-Länder-Programmen bekommen, sollten deshalb nachweisen, dass sie Mindeststandards guter Arbeit einhalten: Tariftreue, Mindestlöhne und Dauerstellen für Daueraufgaben.
Ohnehin müssen sich Hochschulen und Forschungseinrichtungen für gute Arbeit stärker in die Pflicht nehmen lassen. Die Länder haben die Autonomie der Hochschulen immer weiter ausgebaut. Jetzt müssen die Hochschulen beweisen, dass sie mit dieser Freiheit verantwortungsvoll umgehen. Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) fordert in seinem Programm „Für eine demokratische und soziale Hochschule“ die Hochschulen auf, sich einen „Index für gute Arbeit“ zu geben. Die DGB-Gewerkschaften ver.di und GEW haben hierfür entsprechende Eckpunkte vorgeschlagen. Es geht um die Absicherung der Promotion und gute Perspektiven für die Postdoc-Phase. Notwendig sind Mindeststandards für befristete Beschäftigungsverhältnisse und eine familienfreundliche Gestaltung von Karrierewegen. Es geht dabei auch um die Gleichstellung von Frauen und Männern, mehr Partizipation und Mitbestimmung sowie eine gezielte Personalentwicklung an den einzelnen Hochschulen.
Doch letztlich brauchen Hochschulen und Forschungseinrichtungen auch die notwendigen Rahmenbedingungen, um gute Arbeit für alle Beschäftigten durchzusetzen. Dazu müssen die Grundhaushalte der Hochschulen endlich verlässlich aufwachsen und die Drittmittelquote muss sinken.
Grundsätzlich gilt: Exzellente Wissenschaft gibt es nur mit exzellenter Arbeit. Die vorherrschende Hire-and-Fire-Politik schadet nicht nur der Kontinuität und Qualität von Forschung und Lehre. Sie sorgt auch für eine mangelnde Attraktivität des Arbeitsplatzes Hochschule und Forschung im Vergleich zur Privatwirtschaft. Gute Arbeit endlich auch in der Wissenschaft umzusetzen, ist daher die zentrale Herausforderung für Gewerkschaften, Hochschulen und Politik.
Matthias Anbuhl
leitet die Abteilung für Bildungsarbeit und Bildungspolitik beim DGB-Bundesvorstand