Über die Arbeitsbedingungen im Mittelbau wird mittlerweile viel geredet – verbessert haben sie sich aber noch kein bisschen. Außer befristeten Teilzeitstellen ist an den Universitäten weiterhin wenig zu holen.
Anne ist 33, sie hat vergangene Woche ihren mittlerweile elften Arbeitsvertrag an der Uni unterschrieben. Eine halbe Stelle für ein Jahr – das ist mehr als bislang, sie hatte auch schon Zweimonatsverträge. Es ist ihr letzter Vertrag, denn sie arbeitet seit mittlerweile fünf Jahren hier – mehr als sechs dürfen es nicht werden da es ihr nicht gelungen ist, ihre Promotion fertigzustellen. Wie auch, Anne arbeitet meist 35 Stunden die Woche, oft auch mehr; sie verfasst Projektberichte, lehrt in Massenveranstaltungen, kämpft an vorderster Drittmittelfront und mit der Verwaltung – fürs Forschen und Promovieren bleibt kaum Zeit. Das Wissenschaftszeitvertragsgesetz setzt ihren längst verblassten Karriereträumen im nächsten Jahr ein Ende.
Auch Jörn hat einen Arbeitsvertrag unterschrieben, einen unbefristeten immerhin. Lehrkraft für besondere Aufgaben ist er jetzt, auf einer halben Stelle. Er lehrt 9 Stunden die Woche, pro Stunde im Seminar hat er eine Stunde um vor- und nachzubereiten, zu betreuen und beraten. In seinem Büro – 12 Quadratmeter, man teilt sie sich zu dritt – stapeln sich elf Bachelor- und zwei Masterarbeiten, für die Gutachten hat er noch zwei Wochen. Die Anfrage des Dekans nach seiner Publikationsleistung im vergangenen Jahr liegt unbeantwortet neben der Tastatur. Warum tue ich mir das an, fragt er sich immer wieder, und es fällt ihm ein, dass er keine tatsächliche Wahl hatte. Die beiden Kinder, mit denen er lebt, sind nicht seine, kosten aber soviel Zeit und Geld als seien sie es. Dem Wissenschaftszeitvertragsgesetz und dem Personaldezernenten ist das gleich, und so musste Jörn sich mit Ende 30 entscheiden: Lehrsklave oder erst einmal arbeitslos? Der halbe Job bringt ihm etwas mehr als 1000 Euro im Monat, schon das reicht natürlich eigentlich nicht.
Anne und Jörn gibt es hunderttausendfach an deutschen Universitäten. Junge AkademikerInnen, die sich nach ihrem Studium entscheiden in der Wissenschaft zu bleiben – und sich schließlich solange von einem befristeten Vertrag zum nächsten hangeln bis das Wissenschaftszeitvertragsgesetz ihnen den Garaus macht. Es erlaubt sachgrundlose Befristungen in der Wissenschaft bis zu sechs Jahre vor der Promotion und weitere sechs Jahre danach. Und es erlaubt solche Befristungen sogar dann, wenn der/die Beschäftigte überhaupt keine Qualifikationsstelle hat. Und während in den letzten Jahren im Rahmen der Exzellenzinitiative von Bund und Ländern mehrere Milliarden Euro als Förderungen in die Universitäten umgeleitet wurde und manche Universität im zweifelhaften Wettbewerb um den Status einer Eliteuniversität steht, zeigt die Analyse der Arbeitsbedingungen des Mittelbaus, dass die meisten Beschäftigten in der Wissenschaft von solchem Geldsegen wenig profitieren. Im Gegenteil.
Ein rascher Blick in die aktuellen Stellenausschreibungen deutscher Universitäten zeigt: Unbefristete Beschäftigungsverhältnisse werden dort ebenso wenig annonciert wie volle Stellen. Unausgesprochenes Gesetz an den Unis ist: bezahlt wird Teilzeit, gearbeitet Vollzeit. Sich dagegen zu wehren heißt, den nächsten Arbeitsvertrag aufs Spiel zu setzen. Denn heute wird in der Wissenschaft, abgesehen von den meisten ProfessorInnen, kaum noch jemand überhaupt unbefristet angestellt. Statistisch kommen auf eine Dauerstelle an der Hochschule inzwischen neun befristete Beschäftigungsverhältnisse. Von diesen zeitlich befristeten WissenschaftlerInnen hat nur jede Zehnte einen Arbeitsvertrag, der eine Laufzeit von mehr als zwei Jahren hat. Über die Hälfte aller Beschäftigten im Mittelbau ist für weniger als ein Jahr angestellt. Manche bekommen alle paar Monate einen neuen Arbeitsvertrag, oder auch nicht. Wer unter diesen Umständen zum Beispiel eine Familie gründet oder ein Haus kauft, der muss durchgedreht sein.
Und bekannt ist das alles, belegt nicht zuletzt durch eine von ver.di durchgeführte Studie zur Arbeitsbelastung in der Wissenschaft. Mittlerweile beginnen Universitäten sogar selbst, die Zustände per ausgefeiltem Monitoringsystem ausführlich zu dokumentieren. Zu wessen Wohl diese Geschäftigkeit ist, bleibt abzuwarten. Verbesserungen in den Arbeitsbedingungen sind bislang jedenfalls kaum zu vermerken, eher sogar eine weitere Zunahme des Anteils befristeter Arbeitsverhältnisse.
Aber immerhin scheint mittlerweile Bewegung in die Sache zu kommen. Beschäftigte im Mittelbau beginnen, sich zu organisieren – auch wenn das angesichts des schnellen Durchlaufs eine besondere Herausforderung darstellt. In der Politik und an den Universitäten beginnt sich die Einsicht durchzusetzen, dass das Wissenschaftszeitvertragsgesetz eine Wurzel des Übels ist und nicht im Geringsten die positiven Auswirkungen hatte, die sich seine Erfinder im Jahr 2007 erhofften.
Momentan ringt die Große Koalition um das Thema. Dass die SPD das Wissenschaftszeitvertragsgesetz novellieren möchte, ist spätestens seit Februar 2013 bekannt – damals erkannte die SPD-Bundestagsfraktion „erhebliche Abweichungen von den Regelungszielen“ und „ein inakzeptables Missbrauchspotenzial“. Neben der Einführung von Mindestvertragslaufzeiten von 24 Monaten sah der damals vorgelegte Gesetzentwurf die Streichung der völlig sinnlosen Tarifsperre vor. Das sind gute Ansätze, wenn im Mittelbau auch die Meinung vorherrscht, dass die Streichung des gesamten Gesetzes die sinnvollste Lösung wäre. Heute heißt es, die Bildungsministerin spiele da nicht mit, für einen Kuhhandel gegen die PKW-Maut reichte es offenbar nicht. Im vergangenen Mai legten die Grünen dem Bundestag die Gesetzänderung wortgetreu erneut vor – und scheiterten ebenso wie die Sozialdemokraten zuvor. Den Beschäftigten bringen solche politischen Scharmützel gleichwohl wenig – die Politik ist mit sich selbst beschäftigt und denkt gar nicht daran, der Befristungspraxis deutscher Universitäten irgendwie einen Riegel vorzulegen.
Dieser Stillstand erklärt, wie wenig Hoffnung sich im Mittelbau derzeit regt, wenn in Koalitionsverträgen und Zielvereinbarungen vom Ziel der Guten Arbeit in der Wissenschaft zu lesen ist. Dass blumige Formulierungen das Papier wert sind, auf dem sie stehen, muss sich erst noch zeigen. Am besten sehr bald.
Jan Kühnemund ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg. Er hat eine halbe Stelle, befristet auf weitere zwei Jahre. Die Drittmittel, aus denen er bezahlt wird, kommen aus Erasmus Mundus-Exzellenzgeldern der EU; aus Haushaltsmitteln dürfte ihn die Universität entsprechend WissZeitVG gar nicht mehr beschäftigen. Er engagiert sich in der Mittelbauinitiative Oldenburg für eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen.
Jan Kühnemund
ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg und in der dortigen Mittelbauinitiative engagiert