Von 2014 bis 2016 hatte ich die Ehre, Mitglied in der Expertenkommission zur Evaluierung der Exzellenzinitiative zu sein, welche von der Bundesministerin für Bildung und Forschung, Johanna Wanka, und der Ministerin für Bildung, Wissenschaft, Weiterbildung und Kultur des Landes Rheinland-Pfalz, Doris Ahnen, eingesetzt worden war. Die Kommission setzte sich sowohl aus deutschen Forscherinnen und Forscher, die in Deutschland oder im Ausland tätig sind, wie auch aus internationalen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mit langjährigen Erfahrungen in der deutschen Forschungslandschaft zusammen. Sie wurde sehr gewissenhaft geleitet durch unseren geschätzten Kollegen Prof. Dr. Dieter Imboden von der ETH Zürich, der zum Namenspaten unserer Imboden-Kommission wurde. Ich bin sehr froh zu sehen, dass sich große Teile unserer Arbeit und Überlegungen im nunmehr geschaffenen Rechtsrahmen und der neuen Exzellenzstrategie wiederfinden.
Ich bin kein Mitglied einer Sozialdemokratischen Partei, aber ich bin eine engagierte europäische Bürgerin, die großes Interesse an einem Dialog über die Zukunft von Wissenschaft und Forschung in Europa hat. Die Frage, wie heute eine europäische Dimension sozialdemokratischer Wissenschaftspolitik aussehen muss, kann ich nicht letztgültig beantworten. Doch Forschung, Bildung, Universitäten und Studierende werden heute und in Zukunft von politischen Vorstellungen der Vergangenheit und der Zukunft bestimmt. In diesem Beitrag möchte ich einige politische Kernideen aufzeigen und diskutieren, die für die SPD von hoher Relevanz sind und die in der europäischen Forschungspolitik Anwendung finden.
Chancengerechtigkeit: In Europa gibt es eine lange Tradition kostenfreier Bildung. Das gilt auch für die Hochschulbildung.
In Großbritannien erheben Universitäten seit 2012 beträchtliche Studiengebühren. Diese Entwicklung führt zu einer Kettenreaktion neuer Ungleichheiten in der britischen Gesellschaft. Einerseits sind es Ungleichheiten zwischen den Generationen, denn Kinder zahlen und verschulden sich jetzt für eine Ausbildung, die ihren Eltern noch kostenfrei offenstand. Andererseits gibt es Ungleichheit zwischen Universitäten, bei denen einige aus alten Mitteln und Stiftungen schöpfen können, andere nicht. Und schließlich gibt es Ungleichheiten zwischen Disziplinen, wenn Naturwissenschaften gegenüber den Geistes- und Sozialwissenschaften als wichtiger erachtet wurden und die geisteswissenschaftlichen Fakultäten dadurch finanzielle Mittel, Studierende, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verloren haben.
Die Entwicklung in Großbritannien steht exemplarisch für eine Ungleichheit, die wir in ganz Europa sehen. Einige Universitäten erreichen dabei einen Exzellenzstatus, stellen sich strategisch auf und sammeln Geldmittel. Andere hingegen kämpfen ums Überleben. In Deutschland beschleunigt das weitgehend dezentrale Fördersystem von Universitäten und Hochschulen diese Entwicklung. Das politische Klima und die finanzielle Stärke jedes Bundeslandes wirken sich somit indirekt auf das Lernniveau der Studierenden aus. Ich bin sehr dafür, die größeren, exzellenten Universitäten und Forschungsumgebungen zu stärken, weil sie Katalysatoren für neue Kooperationen und Ideen sind. Für exzellente Forschung braucht es neben der beharrlichen Arbeit von Forscherinnen und Forschern über viele Jahre eine nachhaltige Förderung, was in kleineren Einrichtungen nicht immer gewährleistet werden kann. Die Zeiten, in denen jede Stadt mit einer Kathedrale auch eine eigene Universität oder Hochschule haben sollte, sind vorbei. Es braucht andere Antworten auf die Herausforderungen der Zukunft. Die Zweiteilung des Forschungssystems in Universitäten einerseits und außeruniversitären Forschungseinrichtungen andererseits (Max-Planck, Helmholtz, Fraunhofer, Leibniz), welche vom täglichen Kontakt mit Studierenden an den Universitäten getrennt sind, bedeutet für das deutsche akademische System eine zusätzliche Herausforderung. Mehr Zusammenarbeit würde beide Seiten stärken.
Die wichtigste Aufgabe der Universitäten ist die Ausbildung hochqualifizierter Menschen, die sowohl den privaten als auch den öffentlichen Sektor gestalten werden, die neuen Lösungen und Antworten auf unsere Fragen finden und das Wissen in der gesamten Gesellschaft verbreitern werden. Ich sehe hier eine zukünftige Verpflichtung dafür, unser Wissen weiter zu teilen und im Dialog mit den Bürgern und Bürgerinnen zu stehen. Die zukünftige Herausforderung für die Politik besteht darin, einen Rahmen zu schaffen, in dem sich das Wissen zwischen allen Teilen der Gesellschaft ausbreiten kann. Dies erfordert, so glaube ich, starke Universitäten, die diese Verantwortung tatsächlich wahrnehmen können.
In diesem Zusammenhang erfüllt mich die allgemeine Unterfinanzierung der Geistes- und Sozialwissenschaften mit Besorgnis, nicht nur, weil wir wissen, dass diese Disziplinen bei weitem die begehrtesten Studiengänge bei jungen Menschen sind, sondern auch weil die zentralen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts – Migration und Integration, Klima, Gesundheit und Lebensqualität – nicht allein mit neuer Technologie gelöst werden können. Die Sozial- und Geisteswissenschaften spielen bei der Suche nach Lösungen eine zentrale Rolle. Wir sollten zu recht die Frage stellen, wer über die Verteilung und Verwaltung der Mittel in öffentlichen Bildungs- und Forschungssystemen entscheidet: Die Industrie, die etablierten Professorinnen und Professoren, die Politikerinnen und Politiker oder die Studierenden, die das Bildungssystem dafür nutzen, unsere Zukunft zu gestalten?
Ich will damit folgendes sagen: Junge, ehrgeizige Studierende treten in das europäische Bildungssystem ein und haben dabei die Vorstellung, alle Universitäten seien gut, alle Disziplinen interessant und relevant und zudem gerecht finanziert. Aber eigentlich wissen wir, dass dies nicht die ganze Wahrheit ist. Doch trotz begrenzter finanzieller Mittel könnte jede Universität und jedes Bundesland mittels einer konsequenten Konzentration auf die eigenen Stärken exzellente Beiträge in Lehre und Forschung liefern. Dieser Differenzierungsprozess setzt eine engere Zusammenarbeit zwischen Universitäten im In- und Ausland voraus. Die europäischen Universitäten stehen schon jetzt in einem Wettbewerb um Forschungsmittel und Studierende mit den besten Universitäten in Nordamerika und in einigen Ländern Asiens wie China, Korea, und Singapur. Diese Länder investieren besonders stark in Bildung und Forschung und werden hochqualifizierte Studierende hervorbringen, die mit unseren konkurrieren. Deshalb schulden wir es unseren Jugendliche, ihnen eine Ausbildung mindestens auf dem gleichen Niveau anzubieten und dies in allen Disziplinen. Schließlich haben deutsche Universitäten und Hochschulen dank ihrer hohen Qualität, ihrer langjährigen Erfahrung in der internationalen Zusammenarbeit und dem Austausch von Studierenden mit andern Ländern das Potenzial, eine wichtige Rolle bei der europäischen Integration und Zusammenarbeit zu spielen. Forschung und Bildung bilden jenen Sektor, der innerhalb Europas dank des Erasmus Programms und der europäischen Forschungsprogramme wohl am besten vernetzt ist. Die europäischen Universitäten, ganz besonders die deutschen, spielen eine Schlüsselrolle, wenn es um den politischen und kulturellen Zusammenhalt innerhalb von Europa geht. Wissenschaftliche Glaubwürdigkeit, Vertrauen und innovatives Denken sind Ideale, welche die Menschen in Europa mit dem Wissenschaftssystem verbinden und von denen sie sich Lösungen erhoffen für die zukünftigen gesellschaftlichen Herausforderungen.
PROF. DR. MARIE LOUISE BECH NOSCH
Erlangte 2000 nach ihrem Studium der klassischen Philologie und der Geschichte den Doktortitel an der Universität Salzburg. Im Anschluss folgten diverse Forschungsprojekte, Auszeichnungen und Lehrtätigkeiten, unter anderem an den Universitäten Konstanz, Lyon und Paris. In Kopenhagen ist Dr. Bech Nosch seit 2009 Professorin für Geschichte, und Direktorin des „Danish National Research Foundation’s Centre for Textile Research“
(c) Mikkel Østergaard