Schwerpunkte setzen: die niederländischen Topsektoren
Ganz im Gegensatz zu seiner Größe als Land mit 16 Millionen Einwohnern sind die Niederlande nicht nur eine wirtschaftliche Großmacht (5. Platz des World Competitive Rankings 2015), sondern haben auch eine exzellente Reputation im universitären Bereich. So sind 13 der 14 Universitäten der Niederlande in den Top 200 der Weltranglisten (Times Higher Education World Ranking, 2015) zu finden.
Ein Grund für diese Erfolge ist die niederländische Kooperationskultur, die den Vorteil niedriger Barrieren in der Zusammenarbeit von Universitäten untereinander, wie auch mit dem außeruniversitären Bereich hat. Dadurch entsteht kritische Masse.
Um diese kritische Masse weiter zu stärken, wurden vor einigen Jahren von der niederländischen Regierung neun sogenannte Topsektoren identifiziert, die gezielt gefördert werden. Es handelt sich dabei um die folgenden Schwerpunktgebiete:
- Agro-Food
- Chemie
- Kreative Industrien
- Energie
- High Tech Systeme und Materialien
- Lebenswissenschaften und Gesundheit
- Logistik
- Gartenbau
- Wasser
Die genannten Sektoren wurden nach einer Reihe von Kriterien bestimmt: aufgrund wissenschaftlicher Schwerpunkte der Universitäten, der Bedeutung für die niederländische Exportindustrie, sowie im Hinblick auf gesellschaftlich relevante Themen. Kurzum, die Schwerpunkte wurden da gesetzt, wo „Made in the Netherlands“ eine besondere Bedeutung hat, sei es nun im wissenschaftlichen oder im wirtschaftlichen Bereich.
Neben den Wissenschaftseinrichtungen und den Wirtschaftsunternehmen gibt es noch einen dritten essentiellen Partner, der für das Funktionieren der Topsektoren von wesentlicher Bedeutung ist: die niederländische Regierung auf Landes- oder Regionalebene. Sie sieht ihre Rolle vor allem darin, die Kontakte zwischen den einzelnen Bereichen zu erleichtern, regulatorische Hindernisse aus dem Weg zu räumen und durch Steuererleichterungen für beteiligte Unternehmen deren Zugang zur Forschung und Entwicklungsmöglichkeiten zu verbessern. Daneben stehen selbstverständlich klassische Instrumente wie günstige Darlehen und die direkte Projektförderung zur Verfügung. Ziel der Initiative ist die Positionierung der Niederlande als eine der führenden „Knowledge Economy´s“ und Wissensgesellschaft im kommenden Jahrzehnt. Die strukturelle Zusammenarbeit der genannten drei Sektoren wird unter dem Oberbegriff „Triple Helix“ in den Niederlanden in verschiedenen Regionen mit spezifischen Schwerpunkten umgesetzt. Beispielhaft soll im Folgenden auf die Triple Helix Konzepte der niederländischen Provinz Limburg eingegangen werden, an denen die Universität Maastricht federführend beteiligt ist.
Kennis-As Limburg: das Limburger Triple-Helix Erfolgsmodell
Bei Kennis-As (nl. für Wissensachse) Limburg handelt es sich um ein strategisches 10-Jahres- Programm der Universität Maastricht (UM), des Maastrichter Universitätsklinikums (MUMC+) sowie den Fachhochschulen Zuyd und Fontys in Zusammenarbeit mit der Landesregierung Limburg und Industriebetrieben (vom multinational bis zum Mittel- und Kleinbetrieb). Das Programm, das an die nationale Topsektoren-Politik gekoppelt ist, zielt auf eine wirtschaftliche und gesellschaftliche Strukturverstärkung in Limburg, in deren Rahmen aktiv die Vernetzung zwischen Wissenseinrichtungen und Unternehmen gesucht wird.
In der Kennis-As übernehmen UM, MUMC+ und die Fachhochschulen die Rolle der inhaltlichen Schrittmacher und engagieren sich für Campusinitiativen in den größeren Städten der Region: Venlo, Sittard-Geleen, Maastricht sowie Heerlen. Diese werden zu attraktiven Campusstandorten mit einem eigenen inhaltlichen Profil ausgebaut. Damit entsteht eine starke Anziehungskraft auf aktive und gründungswillige Unternehmer, Hochqualifizierte sowie führende Kräfte in Forschung und Lehre.
Das Programm der Kennis-As besteht aus einem breiten Spektrum von Initiativen und Projekten. Cross-Overs sorgen für festen Zusammenhalt und inhärente Verbindung der einzelnen Standorte der Kennis-As. Dabei entsteht ein regionales „Triple Helix“-Netzwerk aus Bildungs- und Forschungs-einrichtungen, Unternehmen und staatlichen Institutionen. Das Programm hat das Ziel zu einer Steigerung der Beschäftigung, zur Bildung internationaler Netzwerke, zu einem verbesserten Zugang zu akademischem Know-how für mittlere und kleine Unternehmen, zu einer besseren Lebensqualität sowie zu einem Zustrom gut ausgebildeter Spezialisten auf dem Arbeitsmarkt der Region, der Euregio Maas-Rhein und der Niederlande zu führen.
Die Limburger Bildungs- und Forschungseinrichtungen bringen zusammen fast € 165 Millionen über die zehnjährige Laufzeit für die Kennis-As Limburg auf; die Provinz Limburg verdoppelt diesen Betrag, indem sie etwa € 180 Millionen investiert. Weitere 235 Millionen € werden von Industriepartnern und Drittmitteleinwerbungen eingebracht. Alles in allem werden in den nächsten zehn Jahren also zusätzlich knapp 600 Millionen € in dieses Projekt fließen, mit dem Ziel nachhaltiger Strukturveränderungen und der Schaffung von hochwertigen Arbeitsplätzen.
Erste Erfolge der Kennis-As Limburg
Einer der Charakteristiken der Kennis-As ist die Fokussierung der Triple Helix Partner auf Schwerpunkte, die auf der existierenden kritischen Masse in der Region aufbauen. So wird vorhandenes Potential genutzt und werden neue Ressourcen gebündelt. Die thematischen Schwerpunkte der Kennis-As kristallisieren geografisch auf vier Standorte:
- Greenport Venlo (Agro-Food, Gesundheit)
- Chemelot Sittard-Geleen (Biobased & Smart Materials)
- Maastricht Health Campus (Life Sciences & Health)
- Smart Services Campus Heerlen (Smart Services)
Jeder Standort zeichnet sich mittlerweile durch die Integration von Industrie, universitärer Ausbildung sowie Forschungs-, Innovations- und Verwertungsstrukturen aus.
Drei beispielhafte Projekte werden zur Verdeutlichung im Folgenden exemplarisch vorgestellt.
Beispiel: Innovative Materialien für medizinische Anwendungen
Ein Schwerpunkt der Aktivitäten in der Triple Helix ist die Entwicklung von neuen Materialien für verschiedene Anwendungen – vom Gebrauchsartikel bis zum medizinischen Implantat. Der Chemelot Campus beherbergt eine große kritische Masse an Industrieunternehmen, die auf diesem Gebiet tätig sind. Durch Koppelung von innovativer universitärer Forschung mit diesen Initiativen ist ein Hotspot entstanden, der durch neuartige Technologien Materialen entwickelt, die dann bei Patienten eingesetzt werden können, z.B. als Knochenersatz oder als Herzklappen. Hierbei wird nicht nur mit Unternehmen, sondern auch mit Technischen Universitäten zusammengearbeitet, zurzeit mit den Technischen Universitäten in Eindhoven und Aachen (RWTH). Mit der RWTH wurde vor kurzem ein gemeinsames Institut zur Entwicklung neuer Materialien gegründet, das Aachen-Maastricht Institute for Biobased Materials (AMIBM). Das Institut erforscht die Möglichkeit, hochwertige organische Substanzen auf direktem Wege, also ohne vorheriges Herunterbrechen auf kleinere Moleküle, zur Materialentwicklung einzusetzen. AMIBM fokussiert dabei auf die Anwendung dieser neuen biobasierten Werkstoffe in Fasern und medizinischen Materialien. Das Institut verbindet Studierende und Forscher der beiden größten Forschungseinrichtungen der Region mit Unternehmen auf Chemelot, einem der größten Chemie-Standorte Europas, sowie mit den Unikliniken in Aachen und Maastricht und wird mit seinen Partnern zahlreiche neue Arbeitsplätze in der Region schaffen können, sowie durch Ausgründungen die Wertschöpfungskette technischer Innovationen stärken.
Die Zukunft: Brightlands
Die Triple Helix Projekte in der Region sollen auch international erkennbar sein. Daher wurde die Marke Brightlands entwickelt. Gemeinsam bilden die vier Campus-Standorte das Rückgrat der „Brightlands Region Limburg“.
Die gemeinsamen Projekte der Kennis As waren also die Initialzündung für ein regionales Gesamtkonzept. Für die nächsten Jahre haben die Partner der Triple Helix einen besonderen Schwerpunkt auf die inhaltliche Verbindung der vier Standorte der Brightlands Region als neues Markenzeichen von Limburg gelegt. Mittels gezielter Förderung von sogenannten Cross-Overs wird der Zusammenhang der bereits gestarteten Initiativen gefördert und verstärkt. Einen weiteren Schwerpunkt sehen die Partner auf der (inter)nationalen Zusammenarbeit von Brightlands mit Akteuren außerhalb der Region, insbesondere auch im Rahmen von europäischen Fördermöglichkeiten. Ein Motto der Initiative lautet daher knowledge crossing borders.
In Limburg sind die Partner der triple helix mittlerweile auf gutem Kurs und stehen zu ihrer langfristigen Zusammenarbeit. Das Bekenntnis zur nachhaltigen Kooperation im Triple Helix Modell Kennis-As und der Brightlands Initiative ist eine wesentliche Voraussetzung, die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Ziele in Limburg zu erreichen.
Prof. Dr. Martin Paul
ist Präsident der Universität Maastricht in den Niederlanden