Die enge Verknüpfung wissenschaftlicher Methoden und ihrer Anwendung in Lehre und in der Forschung ist die Kernkompetenz und der Erfolgsfaktor von Fachhochschulen und Hochschulen für angewandte Wissenschaften (HAW). Dies macht HAWs, ihre Absolventinnen und Absolventen wie auch ihre Leistungen in Forschung und Transfer zu gesuchten Akteuren und Partnern für Veränderungs- und Entwicklungsprozesse in Wirtschaft und Gesellschaft.
Die gewachsenen inhaltlichen und quantitativen Anforderungen und Erwartungen der sich stetig verändernden und komplexer werdenden Gesellschaft an das Hochschulsystem insgesamt hat ganz wesentlich zu dessen weitreichenden Differenzierung über die bisher tradierte Dichotomie der Funktionszuschreibungen an die beiden Hochschultypen hinaus bewirkt. In diesem Differenzierungsprozess haben die HAWs aufgrund ihres Profils eine wesentliche Bedeutung erlangt und werden diese Erfolgsfaktoren in ihrer weiteren Entwicklung entsprechend der Anforderungen aus Gesellschaft und Wirtschaft weiter stärken.
Die Präsidentinnen und Präsidenten und Rektorinnen und Rektoren der HAWs haben diese Entwicklung ihrer Hochschulen gerade in dem dynamischen Veränderungsprozess der letzten 15 Jahre in intensiven Diskussionen in ihren Hochschulen und im Kreis der HAWs sowie mit Politik, Wirtschaft und Gesellschaft vorangetrieben. Es hat sich dabei auch gezeigt, dass es auch für HAWs nicht „den einen Weg“ der Hochschulentwicklung gibt, sondern eine an den spezifischen Stärken und strategischen Chancen der einzelnen Hochschule ausgerichtete Profilierung. In den Diskussionen der Hochschulleitungen zu einzelnen hochschulpolitischen Themen wie auch zur Position der HAWs im Hochschulsystem insgesamt wird auch der Erfolg dieser Differenzierungsprozesses bestätigt.
2015 haben die Hochschulleitungen im Bad Wiesseer Kreis der Mitgliedergruppe der Fachhochschulen in der HRK ein Positionspapier zu den „Gesellschaftlichen Bildungsanforderungen und Kompetenzen der Hochschulen für angewandte Wissenschaften“ formuliert[i]. Im Kern haben die HAWs ihre Profile in 4 Dimensionen ausdifferenziert und gestärkt:
- Bildungsauftrag in Studium und Lehre: Durch ihre Kompetenzen ermöglichen die HAWs die Erfüllung des Bildungsauftrags. Unsere Absolventinnen und Absolventen zeichnen sich durch Lust an Gestaltung und Wahrnehmung von Verantwortung für die Gesellschaft aus. Sie vereinigen handlungsorientierte fachwissenschaftliche und überfachliche Kompetenzen.
Durch intensive Betreuung, wechselnde Lernorte und Praxisbezug fördern wir Persönlichkeitsentwicklung und Ganzheitlichkeit in Studium, Lehre und Forschung. Studium und Lehre finden in einem interdisziplinären Kontext statt. Dies bietet das Potential, sich flexibel an sich ändernde Anforderungen anzupassen. Die Doppelqualifikationen unserer Professorinnen und Professoren in Wissenschaft und Praxis bilden hierfür eine gute Grundlage.
- Forschungsprofile: Durch ihre Kompetenzen in der anwendungsorientierten Forschung stärken die HAWs die Innovationskraft und die Zukunftsfähigkeit der Gesellschaft. Das Studium an HAWs befähigt zur selbstständigen Anwendung wissenschaftlicher Erkenntnisse und Methoden. Dies wird auch außerhalb des Wissenschaftssystems benötigt. Durch die Verbindung von Wissenschaft und Praxis initiieren und gestalten wir die notwendigen Transformationsprozesse in der Gesellschaft mit. An den HAWs hat die Lehre deshalb immer einen Forschungsbezug. Eine besondere Stärke ergibt sich aus der Präsenz in den Regionen. Die Promotion an HAWs schärft das anwendungsbezogene Forschungsprofil. Wir sind den wissenschaftlichen Qualitätsstandards für Promotionsverfahren verpflichtet.
- Diversity: Durch ihre Kompetenzen erschließen und entwickeln die HAWs die Potentiale von Vielfalt und Diversität für die Gesellschaft. Ein diskriminierungsfreier Zugang zu Studium und Beschäftigung gehört zum Selbstverständnis der HAWs und wird weiterentwickelt. Die HAWs schätzen eine vielfältige Zusammensetzung der hier studierenden und arbeitenden Menschen mit ihren Verschiedenartigkeiten. Wir profitieren von ihren unterschiedlichen Sichtweisen und Fähigkeiten. Unsere Studierenden lernen im „Labor Hochschule“ mit Diversität und den notwendigen Regeln umzugehen. Wir erweitern kontinuierlich unsere Kompetenzen, die Vielfalt unserer Studierenden organisatorisch, inhaltlich und didaktisch zu berücksichtigen und als Chance zu nutzen. Im Zuge der Profilbildung und unter Berücksichtigung regionaler oder fachlicher Besonderheiten entwickeln HAWs besondere Unterstützungsangebote für Studierende mit spezifischen Diversitätsmerkmalen
- Arbeitsmarkt: Mit ihren Kompetenzen stellen sich die HAWs den regionalen und globalen Anforderungen der Arbeitswelt, die zunehmend miteinander verknüpft sind. Unsere Absolventinnen und Absolventen aus dem In- und Ausland bereichern die Gesellschaft und leisten einen Beitrag zur Prosperität der Volkswirtschaft. Wir können die damit verbundenen Anforderungen der zunehmenden Heterogenität der Studierenden besonders gut bewältigen. Dabei unterstützen uns unsere intensiven Verbindungen zur Arbeitswelt und unsere Erfahrungen bei der erfolgreichen Umsetzung der Bologna Reform. Gleiches gilt für den stark wachsenden Weiterbildungsbedarf auf dem globalen und regionalen Arbeitsmarkt. Wir sehen dabei die Notwendigkeit des Ausbaus der Kooperationen mit ausländischen Partnerhochschulen.
Diese Beschreibung der profilgebenden Erfolgsfaktoren der HAWs ist ein aktueller Statusbericht eines fortgesetzten Arbeits- und Profilierungsprozesses in den Hochschulen. Dabei unterliegen die HAWs zunehmend divergierenden hochschul- und finanzpolitischen Rahmenbedingungen in den Bundesländern und einer weitestgehend auf Profilelemente der Universitäten ausgerichteten Politik der Forschungs- und Nachwuchsförderung. Die in der Regel nur befristete Finanzierung der umfangreichen kapazitätserweiternden und qualitätssichernden Maßnahmen im Rahmen des Hochschulpakt hemmen den schlüssigen Ausbau von Studium, Lehre und lebenslangen Lernen an den HAWs. Diese Entwicklung in Verbindung mit dem verstärkt wirkenden Fachkräftemangel, der aufgrund der Anforderungen an die wissenschaftliche und berufsspezifische Doppelqualifikation der Professorinnen und Professoren bei HAWs zunehmend erkennbar wird, behindert die weitere Entwicklung der HAWs entlang der aus Gesellschaft und Wirtschaft formulierten Anforderungen.
Die HAWs bieten ein großes Potential für eine nachhaltige gesellschaftliche Entwicklung und die Bewältigung gesellschaftlicher Herausforderungen. Das Profil der HAWs ermöglicht sowohl die weitere Ausdifferenzierung der Studienfächer wie auch ihrer didaktischen Konzepte. Zugleich wird die Innovationsfähigkeit der Gesellschaft durch die strukturelle Stärkung von anwendungsbezogener Forschung und Transfer, mit diskriminierungsfreiem Zugang zur Promotion, gestärkt.
Bildung ist nicht statisch und unser Bildungssystem ist ein hochdynamisches System. HAWs stehen für eine Öffnung im Bildungssystem. Sie sind eine Erfolgsgeschichte für mehr Bildungsgerechtigkeit, einer nach wie vor großen Herausforderung. So werden die HAWs auch bei der Bewältigung der bevorstehenden Veränderungen der Arbeitswelt wesentliche Beiträge leisten.
Prof. Dr. Micha Teuscher
ist Rektor der Hochschule Neubrandenburg, Vizepräsident der Hochschulrektorenkonferenz (HRK) und Sprecher der Gruppe der Fachhochschulen in der HRK