Antworten auf die zentralen Fragen unserer Zeit werden wir nur formulieren können, wenn wir auch in Europa zusammenhalten. Für Katarina Barley, Spitzenkandidatin der SPD zur Europawahl, ist die Idee von Verständigung und Freundschaft heute so klar und überzeugen wie niemals zuvor. In einem Impuls beim Workshop „WISSENSCHAFT. FREIHEIT. POLITIK“ macht sie deutlich, dass für sie Talente und Ideen nicht Lohndumping und Steuerrabatte den Wettbewerb entscheiden müssen. Dafür braucht es auch starke Hochschulen und exzellente Forschungseinrichtungen.
„Wie wichtig der rege Austausch zwischen praktischer Politik bzw. der Sozialdemokratie und der Wissenschaft ist, hatte Peter Glotz schon Mitte der 1980er Jahre erkannt, als er die Gründung des Wissenschaftsforums der Sozialdemokratie initiierte. Bildung und Forschung sind zentrale Zukunftsthemen, auch mit Blick auf die bevorstehende Europawahl.
In diesen Tagen wird viel über den Ausstieg Großbritanniens aus der Europäischen Union diskutiert. Dieser ‚Brexit‘ trifft mich gerade auch persönlich und ist in vielerlei Hinsicht eine Tragödie. Auch Wissenschaft und Forschung kennen heute keine Grenzen mehr. Es ist nicht absehbar, was passiert, aber wir müssen dafür sorgen, dass die vielfachen und guten Kontakte zwischen Wissenschaftler*innen und der Studierendenaustausch zum Vereinigten Königreich nicht einfach abreißt.
Innerhalb der EU gibt es aber auch weitere Herausforderungen: Vor kurzem war ich in Ungarn und habe dort auch Vertreter*innen und Wissenschaftler*innen der Universitäten in Budapest getroffen. Viktor Orbán möchte den Studiengang Genderstudies de facto abschaffen und will der von George Soros gegründeten Central European University den Lehrbetrieb verbieten. Aber freie Wissenschaft und Forschung sind Voraussetzungen für neue Ideen, Innovationen und kritisches Wissen über die Zusammenhänge unseres Handelns. Sie sind Stütze für ein demokratisches Gemeinweisen. Beim Monitoring der Rechtsstaatlichkeit für die EU-Mitgliedsstaaten muss auch die Wissenschaftsfreiheit berücksichtigt werden.
Gerade für junge Menschen ist Europa kein fernes Projekt mehr, sondern Realität und Lebensgefühl. Jeder junge Europäer und jede junge Europäerin muss einmal im Leben die Möglichkeit haben, eine Zeit im europäischen Ausland zu verbringen. Das habe ich selbst erlebt. Ich war in der zweiten Erasmus-Generation in Paris. Deshalb macht sich die SPD in ihrem Europawahlprogramm für den Ausbau des Erasmus-Programms und eine Verdreifachung der finanziellen Mittel stark. Ich bin dankbar dafür, vor allem auch weil zukünftig nicht nur Studierende, sondern gerade auch Auszubildende stärker von diesen Chancen profitieren sollen.
Jeder junge Mensch in Europa muss faire und gleiche Bildungschancen erhalten. Ihre Leistung und ihr Talent und nicht ihre Herkunft müssen entscheiden. Deshalb setzen wir uns dafür ein, dass Abschlüsse und nachweisbare Qualifikationen in Europa selbstverständlich und unbürokratisch anerkannt werden.
Unsere Unis und Fachhochschulen sind nicht nur Motoren für eine erfolgreiche und nachhaltige gesellschaftliche Entwicklung. Sie sind vor allem auch zentrale Orte von Bildung und Wissenschaft sowie Begegnungsorte vieler Europäerinnen und Europäer. Hier laufen sie sich tagtäglich über den Weg, diskutieren und denken miteinander. Deshalb wollen wir Hochschulen in ihrer internationalen Ausrichtung finanziell in der Breite fördern und grenzüberschreitende Lehre und Forschung stärker unterstützen.
Ich meine Europa ist die Antwort auf viele Herausforderungen Auch der Bologna-Prozess und der europäische Hochschulraum sind die richtige Antwort auf die bildungspolitische Nationalstaaterei. Bei der Umsetzung müssen wir noch besser werden. Deshalb müssen wir die Bologna-Konferenz zu einer Europäischen Hochschulkonferenz weiterentwickeln. In einer Europäischen Hochschulkonferenz können wir viele Dinge sehr konkret vereinbaren: Wie wir unsere Wissenschaftsfreiheit sichern können. Wie wir allen jungen Menschen gleiche Bildungschancen garantieren können – hierzu gehört meiner Meinung nach auch die Abschaffung von Studiengebühren im europäischen Hochschulraum. Aber hier könnten wir auch diskutieren, wie wir den Austausch über die Grenzen erleichtern können – ganz gleich ob von Azubis, Studierenden, Wissenschaftler*innen oder Ideen.
Wenn wir Europa zusammenhalten wollen, dann müssen wir es sozialer machen. Zum Beispiel mit einem Europäischen Mindestlohn. Aber gerade in der Wissenschaft sind auch in Deutschland viele junge und auch ältere Wissenschaftler*innen unter wirklich prekären Bedingungen beschäftigt. Natürlich braucht Wissenschaft Flexibilität, aber Daueraufgaben brauchen Dauerstellen. Daran sollte sich auch die staatliche Finanzierung in Deutschland ausrichten.
Und wenn wir über Gerechtigkeit reden, ist mir eines ganz besonders wichtig: Frauen sind heute im Durchschnitt besser qualifiziert als Männer, in Führungs- und Leitungsverantwortung aber noch immer unterrepräsentiert. Auch in der Wissenschaft. Allein in Deutschland derzeit weniger als 25% der Professuren an Frauen vergeben. Wir sollten nicht nur für Parité in der Wirtschaft und den Parlamenten sorgen. Wir brauchen auch eine paritätische Besetzung von Führungspositionen in der Wissenschaft. Dafür fordern wir EU-weite Förderprogramme, die insbesondere auch Frauen im MINT-Bereich unterstützen.
Viele Fragen unserer Zeit – der Klimaschutz, die Globalisierung oder der digitale Wandel – machen heute nicht mehr an den Grenzen einzelner Länder halt. Und weil das so ist, können wir nur vereint Lösungen und Antworten auf diese Fragen entwickeln. Wir müssen Europa zur führenden Innovationsregion der Welt machen. Europa muss wieder stark darin werden, neue wissenschaftliche Erkenntnisse zügig in soziale, kulturelle und ökonomische Innovationen umzusetzen. Wir wollen den Ausbau der Spitzenposition Europas in der Forschung, indem bis 2025 in allen Mitgliedstaaten mindestens 3% des BIP in Forschung und Entwicklung investiert werden. Unser Ziel für Deutschland liegt sogar bei 3,5%. Zur Förderung bahnbrechender Ideen und Konzepte wollen wir die Einrichtung eines Europäischen Innovationsrat (EIC) voranbringen. Gerade im Forschungsbereich brauchen wir eine stärkere europäische Zusammenarbeit in Fragen der künstlichen Intelligenz und einen Ausbau der Grundlagenforschung in den Geistes- und Sozialwissenschaften.
Das schaffen wir nur, wenn wir Europa zusammenhalten. Für mich ist die Idee von Verständigung und Freundschaft heute so klar und überzeugend, wie niemals zuvor. Wir haben doch längst die Erfahrung gemacht, dass wir gemeinsam mehr erreichen. Zusammen sind wir stärker. Ich möchte das Talente und Ideen den Wettbewerb entscheiden, nicht Lohndumping und Steuerrabatte. Dafür brauchen wir starke Hochschulen und exzellente Forschungseinrichtungen. Ich möchte, dass wir Europa zu einem Kontinent für Wissenschaft, Forschung und Innovationen machen.“
Dr. Katarina Barley
Katarina Barley studierte Rechtswissenschaften in Marburg und Paris. 1998 promovierte sie an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. Nach Stationen als Rechtsanwältin in einer Hamburger Großkanzlei und beim Wissenschaftlichen Dienst des Landtags Rheinland-Pfalz, arbeitete sie ab 2001 als wissenschaftliche Mitarbeiterin beim Bundesverfassungsgericht. Es folgten Tätigkeiten als Richterin beim Landgericht Trier und im Ministerium für Justiz und für Verbraucherschutz in Mainz. Seit der Bundestagswahl 2013 ist Katarina Barley Mitglied des Deutschen Bundestages. 2015 wurde sie dann zur SPD-Generalsekretärin gewählt, bis sie 2017 das Amt der Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend übernahm. Seit 2018 ist Katarina Barley Bundesministerin für Justiz und für Verbraucherschutz. 2019 tritt sie als Spitzenkandidatin der SPD bei den Europawahlen an